„Kathedralen bauen – die Dome von Pisa, Piacenza und Siena“, Vortrag von Bruno Klein in Stuttgart

Wie wirken Großbauten auf die Gesellschaft 

– „Kathedralen bauen – die Dome von Pisa, Piacenza und Siena“, Vortrag von Prof. Dr. Bruno Klein in der Reihe „Ifag um sieben“ in Stuttgart – 

von Klaus J. Loderer

In seinem interessanten Vortrag in der vom Institut für Architekturgeschichte der Universität Stuttgart veranstalteten Reihe „IFAG um sieben“, die in diesem Semester unter dem Motto „Achtung Baustelle“ steht, warf der Kunsthistoriker Bruno Klein, Professor für christliche Kunst der Spätantike und des Mittelalters an der Technischen Universität Dresden, die Frage auf, inwieweit große Bauprojekte nicht nur passiv von Menschen errichtet werden sondern auch eine aktive Rolle in der jeweiligen Gesellschaft spielen können. Die Dombauten in Pisa und Piacenza wertete er als Beispiele, wie Stadtgesellschaften durch die sich über längere Zeit hinziehenden Bauwesen zusammengeschweißt werden können. Im Dom zu Siena, vor allem im nicht vollendeten Duomo Nuovo, sieht Klein allerdings ein Beispiel, wie die Führungsschicht einer Stadt scheitern kann. Demonstrativ habe die nachfolgende Stadtregierung Teile des überdimensionierten Doms mit der Begründung der Einsturzgefahr abreisen lassen, um ihre Vorgänger besonders zu demütigen.

Dom zu Pisa mit dem Schiefen Turm im Hintergrund
Foto: Klaus J. Loderer
Beim Dom zu Pisa ging Klein kurz auch auf die angebliche Finanzierung durch Kriegsbeute ein, die auf einer Inschrift an der Westseite angedeutet wird. Mehr interessierte sich Klein für das Verhältnis von Erzbischof, Domkapitel, Bauhütte und Stadt in ihrem Umgang mit den von Kaiser Heinrich IV. und der Markgräfin Mathilde von Tuszien (besser bekannt als Mathilde von Canossa) getätigten Stiftungen, die für Klein eher die solide Basis für einen Dombau boten. Besonders Mathilde hatte genaue Verfügungen getroffen, die durchaus Grund für heftige Auseinandersetzungen hätten bieten können. Klein legte allerdings dar, wie man sich vertraglich geeinigt habe, um dies zu vermeiden. Klein zeigte auch auf, wie dieses riesige Bauprojekte letztlich die Kapazitäten und Möglichkeiten in der Stadt erst einmal überstiegen hatten, da es schlichtweg in Italien keine Erfahrung mit einem Bauprojekt dieser Größe gegeben habe.

Beim Dom zu Piacenza warf Klein das Augenmerk auf die Reliefs an den Mittelschiffpfeilern mit ihren Darstellungen von Handwerkern und den Inschriften, die darauf hinweisen, dass diese die Pfeiler finanziert haben. Genau unterschied er deren Gestaltung von den viel plastischeren Darstellungen der Heiligen über den Langhausarkaden.

Wie sich lang hinziehende Baustellen markanter Gebäude eine integrierende Wirkung haben können, zeigte Klein abschließend noch an neueren Beispielen. Dazu dienten ihm etwa die zahlreichen Inschriften über Stifter an der Washington National Cathedral, die nach fast neunzigjähriger Bauzeit kürzlich vollendet wurde. Und er verwies auf den Bau der Kirche Sagrada Familia in Barcelona. Er verkniff sich schmunzelnd eine Interpretation des Bauvorhabens „Stuttgart 21“, verglich aber die kürzlich erfolgte publikumswirksame Fertigstellung des ersten Pilzpfeilers mit den Schließungen der Gewölbe in mittelalterlichen Kathedralen.

19. November 2018
Kollegiengebäude K 1, Universität Stuttgart

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