Carl Maria von Webers Oper Freischütz – Theater Augsburg im Theater Heilbronn – 2017
Gruselige Geistervisionen im Kämmerlein
Theater Augsburg gastiert mit spannendem „Freischütz“ in Heilbronn
Es ist das Geisterhafte, das Unerklärliche, das
Übernatürliche, das Regisseur Hinrich Horstkotte im „Freischütz“ interessierte.
Dabei denkt man in der Oper von Carl Maria von Weber vor allem an die
Wolfschluchtszene. Doch auch das von der Wand fallende Bild des Ahnen, Agathes
Traum, die Totenkrone und der Probeschuß sind Motive aus den oft mysteriös
angehauchten Geschichten der Romantik. Doch Horstkotte schwebte wohl die
Stimmung einer E.T.A. Hoffmann-Geschichte vor. Entsprechend verdüsterte er den
„Freischütz“ noch stärker.
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Wolfgang Schwaninger (Max), Alejandro Marco-Buhrmester (Kaspar) Foto: Jan-Pieter Fuhr |
Und er baute in die Geschichte einige Motive der
literarischen Vorlage von Johann August Apel ein, die in der Oper stark
verändert wurden. Dazu gehört, dass Max in der Erzählulng „Der Freischütz“ gar
kein Jäger ist, sondern ein Schreiber. Dies erklärt dann einleuchtend, warum
Max so schlecht trifft. Dafür gibt es ja im Opernlibretto von Friedrich Kind
keinen richtigen Grund. Für einen Schreiber stellt der geforderte Probeschuss
aber ein wirkliches Problem dar. Außerdem ist das Ende unterschiedlich: in der
Oper schießt Max auf die in eine Taube verwandelte Agathe, die Kugel trifft
aber Kaspar, in der Erzählung erschießt er mit der Taube wirklich seine Braut
und landet schließlich in der Irrenanstalt. Um die Geschichte der Freikugeln
noch zu verdeutlichen, ist in die Augsburger Produktion noch ein Text von Otto
Graben zum Stein eingearbeitet. Max berichtet nach der Erzählung des Oberförsters
(ehrwürdig Stephen Owen) über seinen Ahnen und den ersten Probeschuß, was es
mit den Freikugeln auf sich hat. Das ist interessant für die Geschichte.
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Wolfgang Schwaninger (Max), Alejandro Marco-Buhrmester(Kaspar) Foto: Jan-Pieter Fuhr |
Mit verschiebbaren Elementen gestaltete Siegfried Meyer
(nach Entwürfen von Nocolas Bovey) ein variables Bühnenbild, das
unterschiedliche Räume ermöglichte und sogar mehr Wechsel als eigentlich
erforderlich wären, zuließ. Aber es war vor allem ein urbanes Ambiente, die
Enge biedermeierlicher Zimmer, Straßen einer Stadt, über den nächtlichen
Dächern – dieser Freischütz spielt nicht im Wald. Übrigens auch nicht die
Wolfschluchtszene. Mit dem recht schlicht aber abwechslungsreich gestalteten
Bühnenbild kontrastieren die üppigen Kostüme. An Trachten orientieren sich die
von Hinrich Horstkotte entworfenen Gewänder der Bauern, sind aber in vielen
Details ins Groteske übersteigert, etwa im Kopfputz der Mädchen oder dem
Hirschgeweihzylinder des Bauern Kilian (als keck frecher Mädchenliebling
Thaisen Rusch), der Fürst rot befrackt (fürstlich blasiert Wiard Witholt), Max
mit Weste und langem Mantel (düster aber mit sicherem Tenor Wolfgang
Schwaninger). Auch die die Bühnenelemente herumschiebenden Statisten sind
passend kostümiert, zuerst mit schwarzem Mantel und überzogen hohen Zylindern,
später mit Livree.
Max scheint durch die Gassen dieser Stadt getrieben und
rettet sich immer wieder in sein Kämmerlein, wo das Grauen erst recht beginnt.
Eingefügt wurde in die Inszenierung noch eine weitere Figur, eine alte Frau,
die an eine Seherin, Dorfquacksalberin, Kräuterfrau oder weiße Frau erinnern
soll, die Max zu verfolgen scheint – man fühlt sich an das Apfelweib in der
Erzählung „Der goldene Topf erinnert“. Mit diesen Zutaten macht Regisseur
Horstkotte aus dem „Freischütz“ eine Geschichte E.T.A. Hoffmanns. In der ersten
Szene erscheint Kaspar (Alejandro Marco-Buhrmester) geisterhaft in der Wand
hinter dem am Schreibtisch sitzenden Max (sehr geschickt gemacht). Mit der
Gleichsetzung von Max und Kaspar fühlt man sich an „Die Elixire des Teufels“
erinnert“. Schon das Trinklied gerät grotesk. Es spielt hier in der Kammer von
Max, der sich eine Flasche Branntwein mitgebracht hat. Seinem Bett entsteigt
plötzlich der Doppelgänger. Auch die Wolfschluchtszene spielt in dieser Kammer.
Wer ist aber nun der Gute, wer der Böse? Das lässt die Regie bewusst
verschwimmen. Wenn Kaspar vor dem Spiegel steht, erwartet man Samiel im Spiegel
auftauchen. Doch es kommt anders. Das ist gar nicht Kaspar, das ist Max, und
der ist Samiel. Kaspar singt aus dem Off. Die Visionen der Wolfschlucht sind in
der kleinen Kammer visualisiert. Max’ verstorbene Mutter taucht im Bett auf,
ebenso die sich in den Fluss stürzende Agathe. Zum Kugelgießen wackeln die
Wände, riesige Hirschhornkäfer (der entsprechend kostümierte Chor) wimmeln über
die Bühne. Trickfilmprojektionen unterstützen die Geisterhaftigkeit.
Diese Trickfilmmotive ziehen sich durch die ganze
Produktion. Schon zu Beginn können wir an der Wand lesen, was Max schreibt.
Diese Projektionen sind eine schöne Möglichkeit, geisterhafte Erscheinungen zu
zeigen. Da tauchen Texte oder Tintenklekse auf, wachsen Linien herum, die an den
Blutadernsystem erinnern. Das ist mit dem Auftauchen eines Motivs immer
interessant. Aber man sieht sich schnell satt. Eine gewisse Zurückhaltung würde
die Effekte verstärken. So geht der Effekt in der Effektorgie etwas unter.
Eine köstliche Idee ist der Blick von oben in die Kammer
Agathes im zweiten Teil, der Eindruck, daß man als Voyeur durch ein Loch in der
Decke die im Bett liegende Agathe (schwermütig Josefine Weber) am Morgen
beobachtet. Es taucht dann auch noch Ännchen (mit frischer Stimme Jihuyn Cecilia Lee) im Bett auf und man staunt, was Agathe am Morgen vor ihrer Hochzeit mit
ihrer Verwandten unter der Bettdecke macht.
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Thaisen Rusch (Kilian), Wolfgang Schwaninger (Max), Mitglieder des Opernchors Foto: Jan-Pieter Fuhr |
Und dann ist man gespannt auf die Schlußszene. Da Max die
Kugeln in dieser Version nicht mit seinem Doppelgänger Kaspar teilen muß, hat
er nun alle sieben Kugeln zur Verfügung. Entsprechend wurde der gesprochene
Text leicht angepaßt. Max selbst verschießt seine Kugeln mit allerlei
Vögelchen. Als zwei Bauern (einer darunter der Bauer Kilian, der ihn in der
ersten Szene öffentlich lächerlich gemacht hat) misstrauisch werden, erschießt
er diese kurzerhand. Beim Jägerchor wird ein erlegter Hirsch aufgehängt, an
dessen rohem Fleisch man sich dann labt. Symmetrisch ist der Chor aufgestellt.
Eine gute Basis für die Teilung der Szene, die in dem Moment eintritt, wenn Max
zum Probeschuss ansetzt. Denn mit dem Schuß brechen sowohl die identisch
aussehenden Max und Kaspar zusammen, ebenso wie die nun auch verdoppelte
Agathe. Die rechte Agathe wird ebenso wie Max wieder aufstehen, damit der Chor
„Sie hat die Augen offen“ jubeln kann (Linke Seite frozen). Die linke Agathe
bleibt liegen, Kaspar wird nur kurz aufstehen, um seine letzten Worte
auszuhauchen (rechte Seite frozen) – dann spricht Max wieder als Samiel. Die
linke Seite der Bühne zeigt uns die Variante der literarischen Vorlage – Agathe
wird erschossen, womit sich ihr Traum bewahrheitet. Die rechte Seite zeigt uns
die Opernfassung der Geschichte. Das ist recht geschickt gemacht und überzeugt.
Die die beiden Szenen trennende Wand wird dann quer
verschoben und deutet das Irrenhaus an, in dem Max in der Erzählung landet. So
vermischen sich Erzählung und Oper wieder zu einer Handlung. Dass Max in der
Psychiatrie dann wieder seinen Doppelgänger trifft, ist nur einleuchtend. Die
Oper endet damit, dass Max versucht, seinen Doppelgänger zu erschießen. Tötet
er damit den Guten oder den Bösen? Das klingt alles kompliziert, ergibt aber
auf der Bühne Sinn und wird logisch erzählt.
Das alles ist natürlich nur machbar, wenn das Ensemble mitmacht und das tut es hier. Der Chor des Theaters Augsburg hat seine Höhepunkt und ist ein aktiver Part in vielen Szenen. Eine sehr erfreuliche Opernvorstellung, nicht zuletzt durch die schöne musikalische Führung von Lancelot Fuhry, der die Augsburger Philharmoniker sicher leitet.
Das alles ist natürlich nur machbar, wenn das Ensemble mitmacht und das tut es hier. Der Chor des Theaters Augsburg hat seine Höhepunkt und ist ein aktiver Part in vielen Szenen. Eine sehr erfreuliche Opernvorstellung, nicht zuletzt durch die schöne musikalische Führung von Lancelot Fuhry, der die Augsburger Philharmoniker sicher leitet.
Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 11. November 2017
(Premiere 1. Oktober 2017)
Theater Heilbronn (Gastspiel des Theaters Augsburg)
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