Vor 100 Jahren in Berlin: Uraufführung der Operette „Die törichte Jungfrau“ von Oscar Straus

Erfolg im Großen Schauspielhaus in Berlin 

– Am 13. Januar 1923 wurde die Operette „Die törichte Jungfrau“ von Oscar Straus uraufgeführt – 

von Klaus J. Loderer


Oscar Straus (1870-1954) war seit Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts mit mehreren Operetten bekannt geworden, darunter „Die lustigen Nibelungen“ und „Ein Walzertraum“. In Berlin kam 1920 „Der letzte Walzer“ heraus. Ende des Jahres 1923 „Die Perlen der Cleopatra“ in Wien. Unmittelbar davor war von ihm in Berlin eine heute vergessene Operette auf die Bühne gekommen: „Die törichte Jungfrau“.


Am 13. Januar 1923 fand die Uraufführung der neuen Operette von Oscar Straus statt. Das Große Schauspielhaus brachte an diesem Samstag „Die törichte Jungfrau“ heraus. Regie führte Iwan Schmidt. Die musikalische Leitung hatte Max Roth. Die Hauptrollen waren besetzt mit Kammersänger Carl Clewing, Emmy Sturm, Hermann Thimig, Hans Wassmann, Erica v. Thellmann, Wilhelm Diegelmann und Hans Brockmann.


Großes Schauspielhaus in Berlin mit der Gestaltung durch Hans Poelzig

Heinz Saltenburg

Das Libretto stammt von Florido. Dabei handelt es sich um ein Pseudonym des Schauspielers und Regisseurs Heinz Saltenburg (1882-1948), das dieser als Librettist verwendete. Für Oscar Straus schrieb er auch das Libretto zu „Der Tanz um die Liebe“. Ab Mitte der 1920er-Jahre betrieb er mehrere Berliner Theater, darunter das Lessingtheater, das Theater am Kurfürstendamm, das Lustspielhaus, das Neue Operettentheater und das Deutsche Künstlertheater.


Berliner Tageblatt und Handelszeitung 13. Januar 1923

Das Große Schauspielhaus

Die Vossische Zeitung veröffentlichte schon am 14. Januar unter dem Kürzel „M.M.“ eine Kritik. Die Überschrift „Operette in der Arena“ erinnert daran, dass das am 28. November 1919 eröffnete Theater mit einer spektakulären Inneneinrichtung des Architekten Hans Poelzig vorher vom Zirkus Schumann genutzt worden war, woran immer noch die Anordnung der Sitzplätze erinnerte. Kurz vor der Wende wurde das riesige Theater in der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße, auch „Theater der Dreitausend“ genannt, abgerissen. Nach der überaus erfolgreichen Produktion von „Orpheus in der Unterwelt“ kam im Januar 1923 eine Operette in diesem Theater, nun aber eine neue, die abwechselnd mit „Das Schwarzwaldmädel“ gespielt wurde. „Die törichte Jungfrau“ lief bis in den April. Dann folgte Shakespeares „König Lear“.

Die Zahl der Hetären ist nämlich Legion

Doch nun zur Besprechung der Operette: „Die törichte Jungfrau“ von Oscar Strauß [man beachte die vom Komponisten nicht genutzte Schreibweise] stellt den interessanten Versuch dar, die in ihren Formen erstarrte Operette von ihrer Starrheit zu erlösen. Alles so ungefähr, was möglich ist auf dem Entwicklungswege von Meyerbeer zu Offenbach klingt hier an. Es ist eine Mischung von großer, von romantischer Oper und Operette, die ohne Frage ihre Reize hat. Die Märchenstadt Gaeta wird von feindlichen Söldnerscharen belagert und steht kurz vor ihrem Fall. Der Feldherr Collisano verspricht Schonung unter der Bedingung, daß eine Jungfrau sich bereit fände, ihm ihre Jungfrauschaft zu opfern. Vittorina, die einzige Jungfrau, die in Gaeta aufzutreiben ist, flüchtet zuerst in eine Freudenhaus, muß dann aber doch an ihr Schicksal glauben. Es ist ein alter Stoff, der immer wiederkehrt, in der ernsten und in der heiteren Literatur, er niemals seine Wirkung verfehlt, und der auch hier, in diese phantastisch-groteske Offenbachiade gebettet, seine Schuldigkeit tut. Der erste Akt spielt in einem Freudenhause, der zweite im Lager der Feinde, der dritte in der Osteria „Zum fröhlichen Schwein“. Es ist also viel Gelegenheit gegeben, Massen aufzubieten und allen szenischen Pomp zu entfalten, den diese Operette – es fiel das Wort „heroische Operette“ – und die Tradition des Hauses erheischen. Die Zahl der Hetären ist nämlich Legion, und es versteht sich von selbst, daß anfangs jede ihren Bürger von Gaeta und später jede ihren Söldner hat. Das von Florido gedichtete Buch hat den großen Vorzug reich zu sein an effektvollen Rollen. Da ist zuerst der von Hans Waßmann kreierte Besitzer der Osteria. Waßmann als Gastwirt, Waßmann in einer Ritterrüstung, mit der Sehnsucht nach einem Büchsenöffner – es erübrigt sich, mehr zu sagen. Vittorina, die törichte Jungfrau, eine Partie, die an Gesangskunst und charaktervolle Schauspielkunst sehr hohe Anforderungen stellt, hatte in Emmy Sturm eine ausgezeichnete Vertreterin gefunden. Als Collisano glänzte der von der Oper beurlaubte Carl Clewing; doch durfte er auch hier mehr Opern- als Operettenheld sein. Ein zweites Liebespaar, nämlich Bembo, der Gaukler, und die leichtfertige Beppina konnte nicht köstlicher besetzt sein als durch Hermann Thimig und Erika von Thellmann. Sie fanden den Weg zur landläufigen Operette nicht und wollte ihn nicht finden; sie bewiesen, daß man mit natürlichem Humor und mit einer von allen Manieren befreiten Darstellungsart die kräftigsten Wirkungen erzielen kann. Nach einem Duett im zweiten Akte, einem der hübschesten Musikstücke der Partitur, ließ der stürmische Beifall sie nicht los; erst nach mehrfachen Wiederholungen war der Hunger des Publikums gestillt. Die Musik im allgemeinen steht auf hohem Niveau. Wir kennen Straus al einen Komponisten, der Einfälle hat, und der über eine Kompositionstechnikverfügt wie nicht eben viele, die der heiteren und leichten Musik huldigen. Ob er es auf Meyerbeer anlegt oder auf Offenbach: immer gerät ihm die sinnfällige, dem Ohre und dem Herzen schmeichelnde Melodie. Und so sehr er auch dem Tanzrhythmus verschrieben ist: der Banalität zu entrinnen, ermöglicht ihm seine künstlerische Noblesse. Die Instrumentation, die durchweg die Meisterhand verrät, weist eine Fülle von aparten und zarten Nuancen auf. Das Publikum folgte der Aufführung mit Interesse und Spannung, amüsierte sich köstlich über die heiteren Episoden, gab seiner Freude über die Ausstattung, über die prächtige Inszenierung lebhaften Ausdruck, feierte die Darsteller, kurz – es war ein großer Erfolg.“ Soweit die Kritik in der Vossischen Zeitung.

Carl Clewing

Der Darsteller des Collisano, Carl Clewing (1884-1954), war seit nach einer Schauspielerkarriere ab 1922 Heldentenor an der Berliner Staatsoper. In Bayreuth sang er Walter von Stolzing in „Die Meistersinger von Nürnberg“ und Parsifal. Das  Duett „Ich hab’ das Glück bezwungen“ mit ihm und Emmy Sturm wurde von Vox als Schallplatte herausgebracht. Auf der Rückseite ist „Muss es denn sein, muss es denn gleich die große Liebe sein“ mit Hermann Thimig und von Erika von Tellheim. Erika von Thellheim (1902-1988) debütierte 1919 als Schauspielerin am Württembergischen Landestheater in Stuttgart und wechselte dann an das Deutsche Theater in Berlin. Sie spielte in zahlreichen Filmen mit. Hermann Thimig (1890-1982) debütierte 1910 als Schauspieler am Hoftheater in Meiningen und kam 1916 zu Max Reinhardt an das Deutsche Theater in Berlin. Wie Erika von Thellheim war er im Dritten Reich auf der Gottbegnadeten-Liste. Emmy Sturm (1900-1977), die Darstellerin der Vittoriana, war schon Anfang der 1920er-Jahre als Filmschauspielerin bekannt.

Theodor Caspar Pilartz

Das Bühnenbild und die Kostüme der Operette „Die törichte Jungfrau“ entwarf der Maler und Bildhauer Theodor Caspar Pilartz (1887-1955). Nach dem Besuch der Kunstgewerbeschule Köln und der Kunstakademie München war er ab 1913 als freier Künstler tätig. Er schuf z.B. eine Medaille für die Richard-Strauss-Woche 1913. 1914 zeigte er Arbeiten auf der Werkbundausstellung in Köln. Besonders für seine Porträtbüsten wurde er bekannt. Als Bühnenbildner war er Anfang der 1920er-Jahre am Hessischen Landestheater Darmstadt tätig. Dort entwarf er Bühnenbilder und Kostüme für die Tanzpantomime Der Dämon von Paul Hindemith. Weitere Bühnenbilder schuf er für Theater in Köln, Berlin, Darmstadt, Düren, Düsseldorf, Dresden und Lille. 1929 zog er nach Berlin. Er war 1932 am Kunstwettbewerb der olympischen Spiele in Los Angeles vertreten.

 


Weitere Texte zur Berliner Theatergeschichte

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