„Der kleine Horrorladen“ (Little Shop of Horrors) – Altes Schauspielhaus Stuttgart – 2024

Wenn man Ungeheuer füttert …

Mit „Der kleine Horrorladen“ begeistert wieder ein Musical am Alten Schauspielhaus in Stuttgart

von Klaus J. Loderer


„Gib’s mir“, ruft die Pflanze und verlangt nach Nahrung. Mit Wasser gibt sich dieses Gewächs nicht ab, es verlangt nach Blut. So hatte sich Seymour, Verkäufer in einem kurz vor der Pleite stehenden Blumengeschäft in einer heruntergekommenen Straße in Los Angeles, die Entwicklung seines kleinen Pflänzchens, das er bei einer totalen Mondfinsterin im Großmarkt gefunden und liebevoll Audrey Zwo genannt hat, nicht vorgestellt. Die Bluttröpfchen seiner Fingerkuppen reichen schon bald nicht mehr aus. Die prächtig entwickelte Pflanze entfaltet immer größeren Hunger. Ihre Blüte ähnelt immer mehr dem Maul eines Krokodils. Lukas Schneider sorgt als Puppenspieler dafür, dass Audrey Zwo zum Leben erwacht. Mario Mariano leiht Audrey Zwo seine Stimme, mal verführerisch, mal schnarrend fordernd und mit einem Schuss gut gewürzter Exotik. 


Oliver Morschel als Seymour

Foto: Martin Sigmund


Das 1982 uraufgeführte Musical „Der kleine Horrorladen“ mit der Musik von Allan Menken sorgt im Alten Schauspielhaus in Stuttgart gerade für volles Haus. Das liegt an der kurzweiligen Inszenierung und einem spielfreudigen Ensemble, das die Gesangs- und Tanzszenen mit Elan auf die Bühne bringt. Florian Kießling liefert mit seiner Band den musikalischen Schwung. Regisseur Klaus Seiffert sorgt mit seiner Inszenierung des makabren Musicals, bei dessen schwarzem Humor das Lachen im Halse gefriert, für gute Unterhaltung. Aber er möchte auch darauf hinweisen, wie leicht der Mensch zu verführen ist, wenn ihm große Belohnungen in Aussicht gestellt werden. Seymour mag zu Beginn des Stücks ein unscheinbarer Tolpatsch sein, doch gibt Darsteller Oliver Morschel dem Naivling Tiefgründigkeit, der schließlich erkennt, was er angerichtet hat. Kostümbildner Tom Grasshof hat ihn spießig bieder ausgestattet, ganz im Gegensatz zur von Seymour still verehrten Audrey im engen Leopardenlook. Dass sie äußerlich mit blonder Perücke die Zwillingsschwester von Sugar sein könnte, der Titelfigur des letztjährigen Musicals im Alten Schauspielhaus, ist nur ein vordergründiger Gag. Dorothée Kahler macht aus Audrey die einzig authentische Figur des Stücks, die sich letztendlich sogar opfert. 


Oliver Morschel als Seymour und Dorothée Kahler als Audrey

Foto: Martin Sigmund


Wegen dieser ungewöhnlichen Pflanze ist Seymour jetzt berühmt aber auch ein Mörder. Denn Mr. Mushnik – Martin König als geldgieriger Ladenbesitzer – ahnt, was oder besser wer der besondere Dünger war und deshalb verleitet ihn Seymour dazu in den Schlund der Pflanze zu kriechen. Dort sind auch schon die Relikte Orins verschwunden, den Sven Olaf Denkinger als perfide-sadistischen Zahnarzt mit einer Vorliebe für Lederkleidung spielt, der sich versehentlich mit Lachgas umbringt. So makaber die Szene ist, das Publikum kringelt sich vor Lachen. Denkinger taucht in allen möglichen weiteren Rollen und Kostümen auf – vom Obdachlosen über Kunden bis zu Geschäftsfrau und Geschäftsmann.

Aswintha Vermeulen, Meimouna Coffi und Giselle Ramsey sind als Crystal, Ronnette und Chiffon drei vorlaute Straßengören, die um den Blumenladen herumlungern. Für sie hat Audrey-Zwo-Sprecher Mario Mariano (im Alten Schauspielhaus durch seine Choreografien zu „Sugar“ und „Hair“ schon gut bekannt) passend zur Musik im Stil der Sechzigerjahre flotte Choreografien kreiert. Dazu passen auch die Kostüme von Tom Grasshof, der sich auch den drehbaren Laden ausgedacht hat, den man mal von außen mit schäbiger Backsteinfassade und mal von innen sieht. Am Anfang mit vertrockneten Blumen ausgestattet, wird er im Lauf des Stücks immer übppiger, nicht zuletzt dank der immer größer werdenden Audrey Zwo. Das von Christoph Kalke und Claudia Dreyer geschaffene Ungetüm (eigentlich sind es vier Puppen) hat übrigens schon eine Theaterkarriere hinter sich. Nachdem es sich durch Hamburg gefressen hat, macht es nun Stuttgart unsicher.


Ein Happy End hat das Musical nicht. Seymour wird beim Versuch die Pflanze mit einer Machete zu zerstören, selbst gefressen. Viele kleine Audrey-Zwo-Ableger verbreiten das Unheil in der ganzen Welt. 

 

Premiere: 7. Juni 2024

Besuchte Vorstellung: 10. Juli 2024

Altes Schauspielhaus Stuttgart


Weitere Besprechungen des Alten Schauspielhauses:

Sugar


Zur Geschichte des Alten Schauspielhauses:

Heliotrop auf apfelgrünem Grund mit verstreuten bunten Blumen




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