Operngeschichte: die »singende Gräfin« Italia Vasquez in Budapest
»Die Künstlerin verfügt über eine mächtige und sympathische Sopranstimme von ungewöhnlichem Umfang«
– Die Sopranistin Gräfin Italia Vasquez am königlichen Opernhaus in Budapest –
von Klaus J. Loderer
Zur Disziplinarisierung hatten Theater früher teilweise drastische Strafen, wenn es um versäumte Proben oder gar versäumte Vorstellungen ging. Ein ganzes Monatsgehalt musste eine Sängerin am königlichen Opernhaus (die heutige ungarische Staatsoper – Magyar Állami Operaház) in Budapest wegen eines heute eher kurios wirkenden Vorfalls bezahlen. Die Musikzeitschrift Signale für die musikalische Welt veröffentlichte 1896 unter dem Stichwort »Eine verurtheilte Künstlerin« die Nachricht: »Man meldet der „N. Fr. Pr.“ aus Pest: Vor einigen Wochen kam es auf der Bühne der königl. Oper zu einer peinlichen Scene zwischen dem Intendanten Baron Nopcsa und der Opernsängerin Gräfin Idalia Vasquez. Die Sängerin, von einem plötzlichen Unwohlsein befallen, wollte ihren im Theater anwesenden Gatten zu sich rufen, was der Intendant aber nicht gestattete. Als die Künstlerin sich erholt hatte und von dem Verbote des Intendanten Kenntniß erhielt, schleuderte sie demselben nicht wiederzugebende Invectiven in’s Gesicht. Heute Nachmittag hatte sich Gräfin Idalia Vasquez vor dem Theatergerichte – einer hier bestehenden Behörde – zu verantworten und wurde zu einem Pönale in der Höhe einer Monatsgage, das ist über 1000 fl., verurtheilt. Die Künstlerin ist entschlossen, falls das Urtheil, das übrigens inappellabel ist, zur Ausführung kommt, im Opernhause nicht mehr aufzutreten.« (Signale für die musikalische Welt; 54.1896, 26, S. 410)
Diese Veröffentlichung war eine wörtliche Übernahme einer Nachricht der Wiener Tageszeitung Neue Freie Presse, die dort am 24. März 1896 erschienen war. Der Name der Sängerin wurde üblicherweise anders geschrieben. Es handelte sich um Gräfin Italia Vasquez, die als Sopranistin viele Jahre Mitglied im Ensemble der Budapester Oper war.
Gräfin Italia Vasquez (Sport und Salon, 4.1901, 52, 28.12.1901, S. 21) |
Der Vorfall ereignete sich bei einer Vorstellung von Meyerbeers „Robert der Teufel“ (Robert le diable) am 1. Februar 1896. Die in deutscher Sprache erscheinende Budapester Tageszeitung Pester Lloyd berichtete unter dem Stichwort »Eine peinliche Szene« am nächsten Tag. Wir erfahren nun genauer, warum ihr Ehemann nicht zu ihr durfte und warum sie sich so echauffierte: »Während eines Zwischenaktes in der heutigen Vorstellung von Robert der Teufel ereignete sich auf der Bühne der königlichen Oper ein peinlicher Zwischenfall. Gräfin Vasquez, welche die Partie der Alice sang, fühlte sich nämlich plötzlich sehr unwohl und verlangte nach ihrem Gemahl, der der sich im Zuschauerraum befand, doch konnte ihr diese Bitte auf Grund der bekannten Verordnung, die den Gatten der Künstlerinnen den Besuch in der Garderobe untersagt, nicht gewährt werden. Als nun Gräfin Vasquez bei noch herabgelassenem Vorhange die Bühne betrat, bemerkte sie dort einen Habitué im eifrigen Gespräch mit einer Ballerine. Gräfin Vasquez, ohnehin durch ihr Unwohlsein in hohem Grade irritirt, trat auf den anwesenden Regierungskommissär Baron Nopcsa zu und gab ihrer Entrüstung darüber Ausdruck, daß eine kranke Sängerin ihren eigenen Gatten im Zwischenakte nicht sprechen könne, während – –. Baron Nopcsa verließ hierauf ohne ein Wort der Entgegnung die Bühne. Gräfin Vasquez aber wurde von einem heftigen Weinkrampf befallen, von dem sie sich nur schwer erholte. Oberregisseur Alszegi, welcher der Szene beiwohnte, hat die Künstlerin in das Beschwerdebuch des Disziplinargerichts eintragen lassen und eine gleiche Anzeige hat auch ein Theil des Balletkorps erstattet. Das ist die allerneueste Opern-Affaire, bei der vielleicht manche Thräne, aber hoffentlich kein Blut fließen wird.« (Pester Lloyd 2. Februar 1896)
Die Nachrichten in den Signalen war also insofern unscharf, als nicht der Intendant der Gräfin ein Treffen mit ihrem Ehemann verboten hat, sondern es eine allgemeine Vorschrift gab, dass weder Ehemänner noch Verehrer in die Garderoben durften. Die Sängerin war entsprechend aufgebracht, ausgerechnet einen solchen, mit einer Balletttänzerin flirtend, zu erwischen. Es bleibt unserer Fantasie überlassen, uns auszumalen, was eine leidenschaftliche italienische Primadonna dem Intendanten an den Kopf geworfen hat. Die Anzeige des Ballettcorps deutet an, dass die Tänzerin mit unflätigen Beschimpfungen bedacht wurde.
Der angesprochene Intendant war der k.u.k. Kammerherr Baron Elek Nopcsa von Felső-Szilvas (1848-1918), der von 1894 bis 1897 Intendant der Oper und zeitweilig auch des Nationaltheaters war. Kálmán Alszeghy (1852-1927) war 1872-1888 Bühnenmeister, dann 1888-1891 Regisseur und ab 1892 Oberregisseur der königlichen Oper.
Zuschauerraum des königlichen Opernhauses (heute Staatsoper) in Budapest in einem historischen Stich aus dem 19. Jahrhundert |
Das Disziplinargericht des königlichen Opernhauses
Die Sache verlief nicht im Sande sondern hatte Folgen. Am 23. März 1896 fand die Verhandlung des hauseigenen Disziplinargerichts statt. Am nächsten Tag informierte der Pester Lloyd: »Eine peinliche Szene. Unter diesem Schlagworte berichteten wir im Jänner d. J. von einem erregten Rencontre, welches sich zwischen der Primadonna Gräfin Italia Vasquez und dem Regierungskommissär Baron Alexius Nopcsa auf der Bühne der königlichen Oper ereignet hatte.« Allerdings vertat sich die Zeitung mit dem Datum. Im Januar gab es nämlich gar keine Vorstellung dieser Oper. Die Vorstellung war schon im Februar. Die Zeitung wiederholte die Vorgeschichte, die wir überspringen: »Ueber diesen Vorfall hatte sich heute Nachmittags die Künstlerin vor dem Disziplinargericht der königlichen Oper zu verantworten. Das Richterkollegium bestand aus den Herren Stefan Kerner, Gesangskorrepetitor und dem Tenoristen Béla Kiss unter dem Präsidium des Barons Nopcsa. Anwesend waren noch Direktor Káldy, Oberregisseur Alszegi und der Rechtskonsulent des Theaters Edmund Hets. Baron Nopcsa trug der Gräfin Vasquez in wenigen Worten die Anklage vor und forderte sie auf, sich zu verantworten. Die Künstlerin erklärte, daß eigentlich nur die Verordnung, welche die Angehörigen der Sängerinnen von dem Besuch der Garderobe ausschließt, an dem ganzen Vorfalle schuld sei. Wäre dieses Verbot nicht erflossen, dann hätte sie natürlich keinen Grund zu Rekriminationen gehabt. Auch erinnere sie sich jetzt nicht mehr an die Aeußerungen, die sie damals bei ihrem leidenden Zustande und in so hochgradiger Aufregung gemacht. Sie ersuche daher, ihr dieselben zu wiederholen und eine bestimmte Anklage daraus zu formulieren. Darauf wollte der Vorsitzende nicht eingehen, und erst als Gräfin Vasquez mehrere Male versicherte, daß ihr die Details jenes Zwischenfalls ganz aus dem Gedächtniß entschwunden seinen, erzählte Oberregisseur Alszegi in Folge Aufforderung des Barons Nopcsa den Hergang. Nach kurzer Berathung, während welcher Gräfin Vasquez in einem Nebenzimmer Platz genommen hatte, verkündete ihr Direktor Káldy, daß das Disziplinargericht sie zu dem Verlust einer Monatsgage verurtheilt hat.« (Pester Lloyd 24. März 1896)
Als wirklich unbeteiligtes Gericht kann man dieses Gremiums nicht gerade bezeichnen, denn der Vorsitzende Nopcsa war ja als Zeuge in den Vorfall verwickelt. Da ein Widerspruch gegen das Urteil wohl nicht möglich war, musste Italia Vasquez die Strafe wohl bezahlen. Interessanterweise kommt die in der Wiener Tageszeitung erwähnte Drohung der Sängerin, nie wieder in Budapest zu singen, in diesem Bericht nicht vor.
Meyerbeers „Robert der Teufel“ an der Budapester Oper
Wir wollen noch einmal zum 1. Februar 1896 zurückkehren. Die Besetzung für »Ördög Róbert«, wie der Operntitel „Robert der Teufel“ auf ungarisch lautet, war an diesem Tag: Ilona Sz. Bárdossy (Isabella), Gyula Perotti (Robert), David Ney (Bertram), Béla Kiss (Raimbaud) und Italia Vasquez (Alice). Gesungen wurde in ungarischer Sprache. Die Übersetzung stammte von Károly Asztalos. Die Budapester Oper hatte Anfang Februar geradezu eine französische Reihe mit „Robert der Teufel“ und „Hugenotten“ von Meyerbeer, „Le domino noir“ von Auber und „Mignon“ von Thomas.
Der Opernkritiker August Beer schrieb zu dieser Vorstellung eine Kurzkritik, in der er der früheren Besetzung der Isabella nachtrauert: »In der heutigen Reprise von Robert der Teufel sang Frau Bárdossy die Partie der Isabella. Dieser dramatisch farblosen Gestalt wußte die Bianchi durch ihre Gesangskunst und schöne Sentimentalität einen Schein von Bedeutung zu geben. Frau Bárdossy bemühte sich heute um die Rolle mit viel Ehrgeiz, der jedenfalls größer war als ihr Können. Alle Achtung vor der Ambition und den Fleiß dieser strebsamen Sängerin, aber sie schadet sich nur selbst, wenn sie ihr bescheidenes Talent über die natürlichen Grenzen hinaus künstlich streckt. Einzelne effektvolle Melodieschlüsse, die auf hohen Noten balanciren, trugen ihr übrigens in dem halbvollen Hause recht lebhaften Beifall ein. Die von Alexander Erkel präzis geleitete Vorstellung brachte das bekannte treffliche Trio der Frau Vasquez und der Herren Perotti und Ney.« (Pester Lloyd 2. Februar 1896)
Der in der ungarischen Namensfassung als Sándor Erkel bekannte Dirigent war einer der Söhne des Komponisten Ferenc Erkel. Auch sein Bruder Gyula Erkel war Dirigent an der Oper.
Ankündigung für »Ördög Róbert« – Meyerbeers »Robert der Teufel« am königlichen Opernhaus in Budapest
Pester Lloyd 1. Februar 1896 |
Die singende Gräfin
Die Sängerin der Alice war Italia Vasquez, mit der wir uns noch etwas beschäftigen möchten. Die Namensfassungen können durchaus verwirrend sein. In den Ankündigungen der Budapester Oper taucht sie als Vasquez Italia grófnő und Vasquez Italia grofné, als Vasquez M. I. (für Italia Vasquez-Molina) auf, in den deutschsprachigen Veröffentlichungen hieß sie Gräfin Italia Vasquez oder einfach Gräfin Vasquez. Außerdem war sie als singende Gräfin bekannt. Der Name war keineswegs ein Pseudonym sondern der Name des Ehemanns.
Doch eigentlich war ihr Name Uccielli oder Ucellli. Sie wurde am 24. März 1869 im damals zur k.-u.-k.-Monarchie gehörenden Triest in einer italienischen Familie geboren. Üblicherweise findet man über sie die bei Kutsch/Riemensangegebenen biographischen Daten. Diese seien durch bisher nicht beachtete Angaben und Kritiken ergänzt. In der in Wien erscheinenden Zeitschrift Sport und Salon, Illustrierte Zeitschrift für die Vornehme Welt findet man Details zu ihrer Herkunft: »Italia Casquez ist von italienischer Abkunft, eine Tochter des Ritter v. Uccielli in Triest. Ihre Brüder dienen als Officiere in der italienischen Armee.« (Sport und Salon, 4.1901, 52, 28.12.1901, S. 21)
Ihre musikalische Ausbildung begann am Klavier, es folgte Gesangsunterricht bei Alfonso Dami (1842 - 1927) am Konservatorium in Genf. Ihre ersten Auftritte in Budapest waren bei Konzerten. Ihr Ehemann war Graf Louis Vasquez, der Güter im Komitat Ung (Ung vármegye) besaß, einem Teil Nordostungarns, der heute zur Slowakei bzw. zur Ukraine gehört.
Eine Entdeckung Gustav Mahlers
Sport und Salon informiert uns auch, wie sie an die Budapester Oper kam: »Als sie einst in einem Budapester Salon vor einer grösseren Gesellschaft sang, hörte sie Direktor Gustav Mahler, der damalige Leiter der Budapester Oper, und seiner Ueberredungskunst gelang es, die Dame zu veranlassen, in den Verband der genannten Oper zu treten.« Gustav Mahler (1860-1911) war vom 1. Oktober 1888 bis 15. Juni 1891 Kapellmeister der königlichen Oper Budapest.
Italia Vasquez nahm auch in Ungarn weiterhin Gesangsunterricht bei Alfonso Dami und Schauspielunterricht bei Ede Ujházy (1841-1915), der 1888 bis 1890 Regisseur an der Oper und ab 1890 am Nationaltheater tätig war. Verbunden war damit wohl auch Unterricht in ungarischer Sprache. Sport und Salon berichtet weiter: »Nachdem sie bei dem bekannten ungarischen Schauspieler Ujházy dramatischen Unterricht genommen hatte, trat sie 1891 als Aida zum ersten Mal in Budapest auf, und zwar mit so glänzendem Erfolg, dass sie unter den verlockenden Bedingungen an die Hofbühne engagirt wurde.« Das stimmt allerdings nicht. Denn der erste Auftritt im königlichen Opernhaus war bereits am 8. Februar 1890. Sie sang als Gast zusammen mit den weiteren Gästen Laura Hilgermann und Henrik Prevost in Verdis »Aida«. Es folgten 1891 weitere Vorstellungen als Gast in Rollen, die für sie typisch wurden und die sie die nächsten Jahre häufig sang. Am 18. Februar und 4. April 1891 sang sie wieder als Aida (wieder zusammen mit Henrik Prevost). Es folgte am 21. Februar 1891 ihr Debüt als Sulamith in Karl Goldmarks »Die Königin von Saba«. Außerdem folgte am ab dem 9. April 1891 eine Vorstellungsreihe von »Parasztbecsület«. Dahinter verbirgt sich »Cavalleria Rusticana«. Ein weiteres Rollendebüt war am 16. April 1891 als Rachel in »Die Jüdin«.
Donna Elvira
In »Don Juan« – wie der Titel von »Don Giovanni« damals üblicherweise lautete – sang Italia Vasquez zuerst Donna Elvira, etwa in der Vorstellung am 24. März 1891. In dieser Vorstellung sang Maria Schröder-Hanfstaengl die Donna Anna. Über Vasquez vermerkt der Kritiker August Beer: »Die übrige bekannte Besetzung bietet kaum einen Anlaß zu einer Bemerkung, höchstens daß Gräfin Vasquez die Elvira diesmal mit mehr Sicherheit und freierer Stimmentfaltung sang, als anläßlich ihres ersten Auftretens. Sie wird aber in jeder Hinsicht Vieles zu lernen haben, um als Gattin Don Juan’s ernst genommen zu werden.« (Pester Lloyd 25. März 1891)
1891 wurde Italia Vasquez fest in das Ensemble der Budapester Oper aufgenommen. Zu den weiteren Rollen, die sie dort sang, gehörten Amelia in Verdis »Az álarcosbál« (Maskenball), Desdemona in Verdis »Otello« Elisabeth in Wagners »Tannhäuser«, Elsa in Wagners »Lohengrin«, Brünhilde und Sieglinde in Wagners »Die Walküre«.
Die Stimme
Eine ausführliche Beschreibung ihrer Stimme findet sich in dem bereits zitierten Text der Wiener Zeitschrift Sport und Salon: »Eine der berufensten Priesterinnen der edlen Polyhymnia, die an die Divas der alten guten Zeit erinnert, ist Italia Gräfin Vasquez von der königlichen Hofoper in Budapest. Die Künstlerin verfügt über eine mächtige und sympathische Sopranstimme von ungewöhnlichem Umfang, die allen Affecten willig gehorcht und namentlich in der Höhe von seltenem Zauber ist. Ihr Spiel ist durchgeistigt, leidenschaftlich und von hinreissendem Schwung. Was Mestro Meyerbeer von seiner Valentine verlangte, dass sie in Erscheinung, Gesang und Spiel das Publicum bezaubere und seiner Oper den Erfolg sichere, das gibt Gräfin Vayquez in überreichem Maße. Eine gewisse elementare Kraft steckt in dieser Künstlerin, die die ganze Stufenleiter menschlicher Empfindungen und Leidenschaften zu veranschaulichen versteht, ohne nur im geringsten durch Uebermass oder Ueberschwung die Harmonie des Schönen zu beeinträchtigen. Die Gräfin hat in Deutschland, England und Russland wiederholt als Opern- und Concertsängerin debutirt und überall lebhaften Beifall geerntet. Seit neun Jahren wirkt sie als erste dramatische Sängerin an der Budapester Nationalbühne, wo sie durch ihre glanzvollen Leistungen ein gefeierter Liebling des Publicums geworden ist.« Der Text schließt mit: »Jedenfalls hat Gräfin Vasquez durch eifriges Streben sich zu einer bedeutenden Höhe des Künstlertums erhoben, und weit über die Grenzen Ungarns hinaus verfolgt man die Laufbahn dieses Sterns der Oper in massgebenden Kreisen mit besonderem Interesse.« (Sport und Salon, 4.1901, 52, 28.12.1901, S. 21)
Die Budapester Erstaufführung von »Der Bajazzo« (Pagliacci)
Italia Vasquez sang auch in erstmals in Budapest aufgeführten Stücken. So trat sie bei der Erstaufführung von Leoncavallos »Bajazzo« (Pagliacci) am 28. März 1893 auf. Die kurze Oper wurde zusammen mit dem seit 1885 laufenden Ballett »Bécsi keringö« (Wiener Walzer) von J. Bayer aufgeführt, das es insgesamt auf 135 Vorstellungen brachte. Der Kritiker August Beer schrieb am nächsten Tag im Pester Lloyd: »Die Oper hatte bei ihrer heutigen Première einen stürmischen Erfolg. Von dem Vorspiel angefangen bis zum Bajazzolied, welches den ersten Akt so wirkungsvoll beschließt, wurde fast jede hervorragende Nummer bei offener Szene applaudirt und nach dem ersten Fallen des Vorhanges gab es nicht weniger als zwölf wohlgezählte Hervorrufe. Auch das Intermezzo wurde lebhaft akklamirt und bereitwillig wiederholt. Der musikalisch bedeutendere und dramatisch so aufregend zugespitzte zweite Akt weckte merkwürdigerweise viel geringeres Interesse in dem ausverkauften Hause und zum Schlusse wurden die Darsteller nur dreimal ziemlich matt gerufen. Die brutale Lösung schien zu verletzen. Immerhin ist der Erfolg der »Pagliacci« ein glänzender zu nennen und man kann nur vom Herzen wünschen, daß er sich daduch als echt und dauerhaft erweise und daß die königliche Oper mit dem Werke Leoncavallo’s das ersehnte Zug- und Kassestück gewinne. Die Aufführung, obwohl sie manche Zeichen der Ueberstürzung aufwies, namentlich in dem wenig zartfühlenden Orchester und der schwerfälligen Komparserie, stand doch im Großen und Ganzen auf achtenswerthem Niveau. Der eiserne Taktstock Erkel’s hat wieder einmal Wunder gewirkt, und die spontane Huldigung, die das Publikum dem trefflichen, in »Husarenstückchen« geübten Dirigenten darbrachte, war wohlverdient. Unter den Darstellern sei Herr Signorini an erster Stelle genannt. Er hat als Bajazzo geradezu überrascht durch die Glaubwürdigkeit seiner Darstellung und noch mehr durch die tiefe Empfindung seines Gesanges. Im Bajazzolied hat er rührende Accente angeschlagen und sein Schluchzen am Schluß der Arie ließ nur wenig Wimpern trocken. Er hat sich dankbar gezeigt für eine so »dankbare« Rolle. Daß er sie, der Einzige, italienisch sang, ist der einzige Vorwurf, dem man ihm machen kann. Frau Vasquez nahm sich mit großer Wärme der Nedda an, sie sang und spielte sie mit voller Hingabe, sie wird die Gestalt nur noch flotter soubrettenhafter hinstellen müssen. Herr Ordry war ein gelungener Tonio, halb Possenreißer, halb Jago. Einen erfreulichen Fortschritt hat Herr Beck zu verzeichnen, der als Silvio in seiner Hauptszene, dem Liebesduett, zarte, poesievolle Accente anschlug. Herr Dalnoki war ein annehmbarer Harlekin. Immerhin wäre Herr Szirovatka vorzuziehen gewesen. Schon der Serenade zu Liebe, die nach seinem frischen, wohllautenden Tenor verlangt.« (Pester Lloyd 29. März 1893) »Der Bajazzo« kam bis 1909 in Budapest auf 154 Vorstellungen.
Ankündigung für die erste Aufführung der Oper »Bajazzo« am königlichen Opernhaus in Budapest
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Der Tenor Francesco Signorini
Francesco Signorini (1861-1927) war ein Schüler der Accademia di Santa Cecilia in Rom. Sein Debüt gab er 1882 im Teatro Politeama in Florenz. Manrico (Trovatore), Poliuto, Polione (Norma) und Fernando (La favorita) waren Rollen, die er 1885 in Montevideo sang. Schon bald kamen die Tenorpartien der veristischen Opern hinzu. Turiddu in Cavalleria Rusticana und Bajazzo gehörten zu seinen wichtigen Rollen. 1890 sang er etwa Turiddu am Teatro Pagliano in Florenz. Von 1891 bis 1893 war er im Ensemble des Budapester Opernhauses. Raoul (Hugenotten) und Lohengrin sang er 1893/1894 am Nationaltheater in Bukarest. Eine weitere Südamerikareise führte in 1895/1896 nach Buenos Aires und Santiago de Chile. An der Mailänder Scala trat er 1897 als Don Carlo auf. 1898 sang er in Odessa Otello und Chenier. In der ersten Jahreshälfte 1900 war er für ein Gastspiel wieder in Budapest und trat in Hugenotten, Aida, Trovatore, Otello, Prophète, Afrikanerin, Wilhelm Tell auf. 1902 sang er am Deutschen Theater in Prag. In der Kroll-Oper in Berlin trat er 1902 als Otello auf. Im Alcazar-Theater in Alexandria sang er 1904 Riccardo (Maskenball) und Enzo (La Gioconda). Bei einer Amerikatournee trat er 1907 in San Francisco, Los Angeles und Saint Louis auf. Die letzten Auftritte waren in Turin, Rom, Venedig und schließlich 1911 Neapel. Nach dem Rückzug von der Bühne war er in Rom als Lehrer tätig.
Die Uraufführung von Elberts Oper »Tamora«
Italia Vasquez sang in Budapest auch in verschiedenen Uraufführungen. Ein inzwischen völlig in Vergessenheit geratene Oper ist »Tamora« des ungarischen Komponisten Emerich Elbert. Nach der Uraufführung am 4. Oktober 1895 schrieb der Kritiker August Beer über die Sopranistin: »Frau Vasquez sang die undankbare, fortwährend in höchster Lage sich bewegende Partie der Palmea mit gewohnter Wärme und großem Stimmaufgebot.« (Pester Lloyd 5. Oktober 1895)
Die Oper wurde schon nach der dritten Vorstellung abgesetzt. Am 18. Februar 1896 unternahm man einen weiteren Versuch die Oper zu spielen. August Beer schrieb darüber: »Elbert’s tragische Oper Tamora tauchte heute wieder im Repertoire auf, von dem sie schon wenige Tage nach ihrer Premiere abgesetzt worden ist. Als Grund wurde angegeben, daß die Darstellerin der Palmea, Frau Vasquez, ihre Partie zurückgeschickt habe, da ihr dieselbe zu hoch lag. Allerdings bewegt sich die Rolle andauernd in solch halsbrecherischer Höhe, daß selbst ein so schwindelfreier Sopran, wie derjenige der Frau Vasquez, sich da oben nicht mehr behaglich fühlen mochte. Nun trat Fräulein Kaczer in die Bresche und der Komponist bezeigte ihr dadurch seinen Dank, daß er im Umkreise der dreigestrichenen Oktave fleißig punktirte und weniger schlanke Noten hinschrieb. Die Rolle der Palmea ist dadurch zwar sangbarer, aber nicht dankbarer geworden und Frl. Kaczer ist gewiß nicht die Sängerin, die im Stande wäre, eine blasse Figur interessant zu beleben, durch vornehme Kunst, oder etwa gar durch eine reizvolle Stimme die Schwächen der Rolle vergessen zu machen. Tamora hat auch bei der heutigen Reprise fast nur Besitzer von Freikarten in das Theater gelockt und zu einem Applaus veranlaßt, der, als er sich zu stark vorwagte, auf vornehmliche Oppostion stieß.« (Pester Lloyd 19. Januar 1896)
Die in der Kritik erwähnte Sängerin Margit Káczer (1874–1951) war von 1891 bis 1909 an der Budapester Oper und sang vor allem Verdi, Wagner, Puccini und Mozart.
Itlia Vasquez als Isolde am königlichen Opernhaus in Budapest |
Erstaufführung von Wagners »Tristan und Isolde« in Budapest
Von den Opern Richard Wagners fehlten im Budapester Spielplan noch »Tristan und Isolde« und »Parsifal«. »Tristan und Isolde« wurde am 28. November 1901 erstmals aufgeführt. Karel Burian (1870-1924) und Italia Vasquez sangen die Titelrollen.
Der Kritiker August Beer würdigte die Aufführung mit einer Besprechung über acht Spalten. Nach ausführlicher Thematisierung der Tristan-Musik und Handlung berichtete er: »Ein ausverkauftes, von der vornehmen Gesellschaft dicht besetztes Haus bildete den glänzenden Rahmen zu dem künstlerischen Ereignisse welches die Budapester Premiere des monumentalen Werkes isst. Unser Opernpublikum hat sich selbst geehrt, indem es dem eigenthümlichsten, am schwierigsten zugänglichen Musikdrama Wagner’s solches Interesse entgegenbrachte. Vor Beginn der Vorstellung ging eine feierliche Erwartung durch die Reihen, wie man sie sonst nur in der Redoute beobachtet, wenn nämlich die Beethoven’sche »Neunte« anhebt. Mit wärmster Theilnahme, die sich stellenweise bis zu rückhaltloser Begeisterung steigerte, folgten die Zuhörer der großen Liebestragödie. Man kann ein Wort variieren: Nicht nur Wagner hat gesiegt, sondern auch das Publikum. Anderswo und freilich zu anderer Zeit ist das Publikum durchgefallen, indem es »Tristan und Isolde« fallen ließ. Zu dem Erfolge hat die würdige, in einzelnen Theilen vorzügliche Aufführung das Ihrige beigetragen. Die ungeheuere Mühe und Arbeit, die seit Monaten alle Betheiligten in Athem hielt, hat ihre reichen Früchte getragen. Die Seele der Aufführung war Kapellmeister Stefan Kerner. Er dirigierte mit lebendigstem Schwung, beherrschte die Massen und das einzelne Instrument, wie Einer, dem jede Note fest im Gedächntisse sitzt. Mit wärmster Hingabe folgte ihm unser Opern-Orchester, welches an buntem Farbenspiel, an Klarheit der Polyphonie kaum etwas zu wünschen übrig ließ. An einzelnen Stellen der beiden Liebesduo deckte es mit zu lautem Uebergewicht die Sänger. Vielleicht hilft hier die Tieferlegung des Orchesterraumes ab, wie sie ursprünglich geplant war. Eine glänzende Leistung bot Gräfin Vasquez als Isolde. Es war die Ueberraschung des Abends. Ganz merkwürdig hat sie sich in den Styl des späten Wagner eingefunden, dem sie, die Italienerin in doppeltem Sinne, bisher par distance gegenüberstand. Ihre Isolde war voll tieffster Beseelung, voll Hoheit, dabei von hinreißender Leidenschaft, der auch der große Zug ins Heroische nicht fehlte. Manches wurde noch zu sehr »gesungen«, der Accent noch zu hoch oben gepflückt, aber es waren nur mehr oder weniger flüchtige Erinnerungen an die Melodieoper, in der sie den Wohllaut der Stimme schwelgen ließ. Und die Stimme behielt ihren frischen Glanz bis an das Ende dieser Riesenrolle. Durch ihre Liebesszenen ging eine lodernde Leidenschaft und ein wilde Energie durch die Zornesausbrücke des ersten Aktes. Ein ausgezeichneter Partner war Herr Burrian. Ein Tristan von nobelstem Styl, von edler Ritterlichkeit und innerer Bewegung. Sein Meisterstück war die große Szene am Krankenlager mit ihren Fieberparaxysmen, ihrer zitternden Sehnsuch, ihrer Verzweiflung. Man hat in diesem Künstler einen Wagnersänger ersten Ranges gewonnen. Herr Takács gab den Kurwenal mit zutreffender rauher Biederkeit, Fräulein Berts die Brangäne anfangs schüchtern, dann in dem richtigen weichen Ton der Trösterin und Beratherin. Herr Ney stattete den König Marke mit viel empfindsamem Pathos aus. Mit kräftiger Stimme sang Herr Déri sein Matrosenlied, die Herren Gábor und Kiss entsprachen in ihren kleineren Rollen. Man hat zwanzig Hervorrufe und darüber gezählt, die meisten nach dem dramatisch spannenden ersten Akte. Stürmisch wurden die Träger der Hauptrollen, Gräfin Vasquez und Herr Burrian hervorgerufen. »Tristan und Isolde« ist für unser Repertoire erobert.« (Pester Lloyd 29. November 1901)
Ankündigung für »Tristan és Izolde« – erste Aufführung von »Tristan und Isolde« am königlichen Opernhaus in Budapest
Pester Lloyd 28. November 1901 |
Donna Anna
Auch Donna Anna gehörte zu den Rollen der Gräfin Vasquez. Nach der Wiederaufnahme von »Don Juan« am 21. März 1903 besprach der Pester Lloyd die Oper zwar wegen der neu besetzten Rollen, Italia Vasquez erwähnte August Beer aber nur kurz: »Um diese Neuen schaarten sich die bekannten und zumeist auch trefflichen Darsteller: Gräfin Vasquez, eine Donna Anna voll Hoheit und dramatischer Energie […].« (Pester Lloyd 22. März 1903)
Uraufführung der Oper »Der Nebelkönig«
Italia Vasquez sang auch in der Uraufführung der Oper »A ködkirály« (Der Nebelkönig). Am 17. Oktober 1903 wurde Emil Ábrányis phantastische Oper in einem Akt zusammen mit Eduard Poldinis Spieloper »Der Vagabund und die Prinzessin« und dem Ballett »Der Karneval von Venedig« uraufgeführt. Das auf einer Ballade Edgar Allan Poes basierende Libretto stammt von Árpád Pásztor. Der Komponist dirigierte selbst. Der Kritiker August Beer schrieb über Italia Vasquez, deren Partner Julius Bochníček war, im Pester Lloyd: »Zu dem ansehnlichen Erfolge trugen auch die Vertreter der beiden überaus schwierigen und anstrengenden Hauptrollen das Ihrige bei. Gräfin Vasquez setzte für das Fischermädchen Aniko ihre ganze Wärme und ihre seelenvolle Stimme ein.« Pester Lloyd 18. Oktober 1903)
Gastspiele
Es sind auch einige Gastspiele bekannt. So trat Italia Vasquez im Dezember 1900 am Theater des Westens in Berlin auf. Dort standen am 30. November und 4. Dezember »Die Hugenotten«, am 8. Dezember »Die Jüdin« auf dem Programm“. Weitere Gastspiele führten sie 1902 an der Wiener Hofoper und 1904 am Hof- und Nationaltheater in München. In Sport und Salon findet man noch die Angaben: »Wie schon erwähnt, hat sie auch in England, und zwar im Londoner Covent Garden, sowie in St. Petersburg Gastrollen gegeben.« (Sport und Salon, 4.1901, 52, 28.12.1901, S. 21)
Im Royal Opera House Covent Garden trat sie am 1. Juni 1893 an der Seite von Ferruccio Giannini unter der Leitung von Enrico Bevignani als Eleazar als Rachele in »La Juive« auf. Die Ernennung zum lebenslänglichen und Ehrenmitglied Budapester Oper erfolgte 1917. In Budapest war sie auch als Gesangslehrerin tätig. Itala Vasquez starb im August 1945 in Budapest.
Aufnahmen
Es sind wenige Aufnahmen mit ihr erhalten. Auf Schallplatten erschienen mit ihr Racheles Arie aus »La Juive«, der Liebestod aus Wagners »Tristan und Isolde« und das Ave Maria aus Verdis »Otello«. Letzteres erschien unter G.C.-53244 bei G & T Gramophon and Typewriter Ltd. als: Italian soprano Ave Maria »Otellóból« Énekelte Vasquez Italia grófnő Budapest. Die Aufnahme des sog. Liebestods sollt nach Jonathan Brown die erste Aufnahme überhaupt sein. Itala Vasquez singt, vom Klavier begleitet, in ungarischer Sprache. Auch Claude d’Esplas bespricht die Aufnahme.
Hörprobe
»Mild und leise« – sog. Liebestod aus »Tristan und Isolde« von Richard Wagner
Ich danke Klaus-Dieter Schüssler, dass er mich auf die Veröffentlichungen in Signale für die musikalische Welt und Sport und Salon aufmerksam gemacht hat.
Literatur
A Magyar Királyi Operaház 1884-1909, Adatok a szinház huszonöt éves történetéhez. Budapest 1909.
Karl-Josef Kutsch, Leo Riemens: Großes Sängerlexikon. 5. Bd. 3. Aufl.1999. S. 3575.
Jonathan Brown: Tristan und Isolde on Record, A Comprehensive Discography of Wagner's Music Drama with a Critical Introduction tot he Recordings. London. Discographies; 85). 2000. S. 60
Claude d’Esplas: Tristan und Isolde, von Bayreuth nach Monsegur. 1989.
J. P. Wearing: The London Stage 1890-1899: A Calendar of Productions, Performers, and Personnel. Second edition. Lanham 2014. S. 169.
Lesehinweise
Über den im Text erwähnten Tenor Julius Bochníček gibt es einen eigenen Beitrag
https://opernloderer.blogspot.com/2021/07/operngeschichte-vor-150-jahren-wurde.html
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