Buchbesprechung: Klaus Waller – Paul Abraham, der tragische König der Jazz-Operette

„Ich war der populärste Mann in Berlin“ 

– Klaus Wallers Biographie des Komponisten Paul Abraham in neuer Gestalt – 

von Klaus J. Loderer


Paul Abraham lässt Klaus Waller nicht mehr los. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der Biographie des Komponisten. Diese war davor eher von Mythen geprägt, zu denen Abraham selbst auch maßgeblich beigetragen hat. Allerdings sind die ganzen Geschichten, die Abraham über sich verbreitet hat, auch zu schön. Systematisch inszenierte sich Paul Abraham als Komponistenstar. Ganz bewusst ließ er Klatschreporter daran teilhaben, um die Verbreitung in Zeitungen und Magazinen zu sichern. Seine Selbstinszenierung als Dandy sorgte für Aufsehen in Berlin. Das Leben Abrahams war in dieser Zeit mindestens ebenso glamourös wie das seiner Bühnenfiguren. Seine Operetten sorgten für ausverkaufte Theater. „Ich war der populärste Mann in Berlin“ soll er über sich gesagt haben, aber da waren seine Operette in Deutschland als die eines jüdischen Komponisten in Deutschland schon nicht mehr gelitten.


In langwierigen Recherchen hat Klaus Waller die Mythen als solche entlarvt und die Biographie auf festen Boden gestellt. 2014 hat Waller seine Ergebnisse erstmals in Buchform veröffentlicht, in einem Taschenbuch im Selbstverlag, von dem 2017 eine zweite Auflage erschien. Auf diesen Lorbeeren hat er sich aber nicht ausgeruht. Er hat weiter geforscht und kam immer wieder zu neuen Erkenntnissen. Auf seiner Homepage konnte man die Korrekturen und Korrekturen der Korrekturen nachverfolgen. Stark ergänzt und deshalb viel umfangreicher ist das Buch nun in schönerer Aufmachung und mit festem Einband neu erschienen. Aus dem König der Operette wurde im Untertitel nun der König der Jazz-Operette, womit Abrahams Genre ja sehr treffend charakterisiert ist. Diese Operetten sind durch einige bemerkenswerte Inszenierungen seit einiger Zeit wieder en vogue und werden wieder vermehrt gespielt. Neben „Die Blume von Hawaii“, „Ball im Savoy“ und „Viktoria und ihr Husar“ sind auch „Roxy und ihr Wunderteam“ und „Märchen im Grand Hotel“ wieder ausgegraben worden. 

Die bühnenpraktische Rekonstruktion der Partituren

Grundlage für die Belebung und den neuen Paul-Abraham-Klang sind die umfangreichen Forschungsarbeiten von Henning Hagedorn, der das Aufführungsmaterial als bühnenpraktische Rekonstruktion erarbeitet hat. Waren die Aufführungen und Verfilmungen der Abraham-Operetten der 1950er-Jahre durch einen weichen, man kann auch sagen, seichten Klang geprägt, der näher an der Wiener Operette lag und die Jazz-Elemente unterschlug, klingen sie heute dank Hagedorn jazziger, pointierter, gewitzter. Seine Arbeit mit den Originalpartituren erläutert Henning Hagedorn in einem Aufsatz im hinteren Teil des Buchs. Neu aufgenommen wurde ein Text von Anna Mária Kemény über ihren Vater, den Komponisten Egon Kemény und seine Zusammenarbeit mit Paul Abraham. Kemény hat nicht nur Abrahams Korrespondenz geführt, sondern 1930 bis 1933 auch  die Orchestrierungen von Abrahams Operetten erarbeitet. Das hat er später auch noch für andere Komponisten getan. In Bezug auf Paul Abraham ist dadurch aber wieder ein weiteres interessantes Detail aufgetaucht. Da die Komische Oper in Berlin in den letzten Jahren mit ihrem Paul-Abraham-Zyklus für Aufsehen gesorgt hat, ist es naheliegend, dieses Theater bei der Abraham-Rezeption herauszuheben. Das geschieht im Buch durch ein Gespräch zwischen dem Intendanten und Regisseur Barry Kosky und dem Dirigenten Adam Benzwi. Kosky deutet darin „Ball im Savoy“ als Hymne auf Berlin.

Ein reich illustriertes Buch

Was das neue Buch besonders ansprechend macht, sind die fast zweihundert Bilder. Die früheren Ausgaben waren ohne Bilder erschienen. Das neue Buch illustrieren historische Fotos, Porträts, Gebäudeansichten, Szenenfotos, Theaterprogramme und -plakate, Schallplatten, Karrikaturen und zeigen uns, wo Abraham lebte, mit wem er zusammenkam, wo die Operetten aufgeführt wurden, wie die Kostüme aussahen usw. Die Abbildungen sind in leichtem Sepia-Ton gehalten, was die historische Wirkung unterstreicht. Die einzigen farbigen Abbildungen sind die Szenenfotos aus der Produktion von „Ball im Savoy“ an der Komischen Oper in Berlin als Vor- und Nachsatz. Eher beiläufig ist das Buch auch ein kleiner Operettenführer. An verschiedenen Stellen im Buch findet man rosa unterlegte Texte. Bei diesen handelt es sich um die Inhaltsangaben der Abraham-Operetten. Das ist für Themeneinsteiger durchaus praktisch.


Trotz der akribischen Recherchen Wallers sind immer noch Unstimmigkeiten in der Biographie Paul Abrahams geblieben. An einigen Stellen ist Waller einfach nicht weitergekommen, vermerkt dies aber auch deutlich. Es ist aber schon erstaunlich, wie detailliert er trotz der problematischen Überlieferung und der Situation, dass praktisch jede bisherige biographische Angabe eventuell falsch war, Abrahams Leben darstellen kann. So ist es Klaus Wallers Verdienst, eine stimmige und spannend zu lesende Biographie Abrahams geschrieben zu haben, dessen Leben er in die politischen Zeitumstände einordnet. Diese verliefen ab 1933 auf eine Art und Weise, dass aus dem „König der Jazz-Operette“ der „tragische König der Jazz-Operette“ wurde. „Ich war der populärste Mann in Berlin“ – das Zitat ist eine Äußerung Abrahams aus dem Jahr 1939 als er nach der Flucht von Berlin nach Wien und der Flucht von Wien nach Budapest nun auch Budapest verlassen muste und wieder auf der Flucht war – nach Paris, das er aber schon bald verlassen musste. Die Nazis schienen ihn in Europa überall einzuholen.

 


 

Klaus Waller

Paul Abraham

Der tragische König der Jazz-Operette


Hrsg.: Manfred Rothenberger

Mit Beiträgen von Henning Hagedorn, Anna Mária Kemény und einem Gespräch von Barrie Kosky und Adam Benzwi


Fürth: Starfruit Publications 2021

ISBN 978-3-922895-44-2

384 Seiten, 196 Illustrationen

 

 

 

 

Eine Besprechung der früheren Auflage findet man hier:

https://opernloderer.blogspot.com/2018/09/buchbesprechung-paul-abraham-der_10.html

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