Opernrarität: Gaspare Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“ – Theater Erfurt – 2018
Der Kaiser auf dem Podest
– Theater Erfurt scheitert mit „Agnes von Hohenstaufen“ von Gaspare Spontini –
von Klaus J. Loderer
Zu seinen Lebzeiten war Gaspare Spontini ein gefeierter Komponist. Im Musikunterricht in der Schule habe ich über ihn nur gelernt, dass gleichzeitig mit den schlichten melodischen romantischen Opern eines Carl Maria von Weber an der königlichen Oper zu Berlin seelenlose Bombastopern eines italienischen Komponisten gelaufen seien. Sogar Elefanten seien da aufgetreten (ein Detail, das sich wohl auf die Pariser Aufführung von „Olimpie“ bezieht). Seitdem möchte ich eine dieser Bombastopern auf der Bühne sehen.
„Agnes von Hohenstaufen“ am Theater Erfurt: Máté Sólyóm-Nagy als Kaiser Foto: Lutz Edelhoff |
Nun ergab sich die Gelegenheit. Das Theater Erfurt brachte „Agnes von Hohenstaufen“ auf den Spielplan. Als Eingangscoup gibt es dort sogar auch eine tierische Einlage. Ein Adler stürzt sich auf einen auf der Bühne im Halbdunkel liegenden Mann. Überhaupt taucht das Adlermotiv im Regiekonzept von Marc Adam immer wieder auf. Es ist natürlich auch das deutsche Wappentier. Und um deutsche Geschichte geht es in dieser Oper, genauer um den Machtkampf zwischen Staufern und Welfen im Mittelalter. Gleich drei Heinriche kommen in der Oper vor. Die geplante Hochzeit von Agnes von Hohenstaufen mit dem Sohn Heinrichs des Löwen droht zu scheitern, weil dieser mit Heeresmacht gegen Kaiser Heinrich VI. zieht und der junge Heinrich in französischer Gefangenschaft ist. Der Kaiser verhängt die Reichsacht über die Welfen. Da taucht in Mainz im Gefolge des Herzogs von Burgund, der für den französischen König um Agnes‘ Hand anhält, unerkannt Heinrich auf. Eifersüchtig legt er sich mit dem Herzog an, nicht wissend, dass es sich um den französischen König handelt. Am Ende des ersten Akts kommt es zum Eklat. Agnes soll ins Kloster. Im zweiten Akt heiratet sie dann aber heimlich ihren Heinrich, der durch glückliche Umstände einem vom Kaiser angezettelten Mordversuch entronnen ist und dann aus Gründen der Ehre nicht zu seinem Vater über den Rhein flieht. Im dritten Akt bringt der junge Heinrich dann im Zweikampf fast den Herzog, also König, um, der sich nun zu erkennen gibt, dass er einfach mal seine Braut kennenlernen wollte, verzeiht Heinrich, während der Kaiser noch einige Zeit schmollt. Inzwischen hat Heinrich der Löwe die Stadt Mainz eingenommen, unterwirft sich aber dem Kaiser und das Happy End kann kommen. Ein Happy End war auch angebracht, schließlich diente die Oper bei zwei Prinzenhochzeiten als Rahmenprogramm. 1827 gab es nur eine unfertige Fassung zur Hochzeit von Prinz Carl, 1829 dann die vervollständigte Fassung zur Hochzeit des Prinzen Wilhelm. Dieser spätere Kaiser Wilhelm I. war damals nur zweitgeborener Sohn von König Friedrich Wilhelm Wilhelm III., der 1820 Gaspare Spontini als General-Musik-Direktor nach Berlin holte.
Spontini wurde 1774 in Maiolati geboren, einer kleinen Gemeinde in den Marken, unweit der Stadt Jesi, in der übrigens Kaiser Friedrich II. geboren wurde, Sohn des in der Oper vorkommenden Kaisers. Mit komischen Opern wurde er in Italien bekannt. Bekannter sind seine in Paris entstandenen Opern wie „La Vestale“ und „Fernand Cortez“, mit denen er die Ära Napoleons musikalisch prägte. In Berlin stand seine Oper „Olimpia“, aufgeführt am 14. Mai 1821 im königlichen Opernhaus unter den Linden, in direkter Konkurrenz zu Webers „Der Freischütz“, uraufgeführt am 21. Juni 1821 im königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Später zog sich Spontini zunächst nach Paris und dann in seinen Geburtsort zurück. Dort stiftete er übrigens ein Altenheim, in dessen Kapelle er bestattet wurde.
Damals häufig aufgeführt, sind Spontinis Opern längst aus den Spielplänen verschwunden. Höchstens „Die Vestalin“ schafft es gelegentlich in die Spielpläne. „Agnes von Hohenstaufen“ wurde im 20. Jahrhundert nur einige wenige Male in gekürzten Fassungen in Italien aufgeführt. Nun hat sich das Theater Erfurt an „Agnes von Hohenstaufen“ gemacht. Das ist überaus löblich. Es war an der Zeit, dass diese Oper wieder in Deutschland aufgeführt wird. Leider hat man sich in Erfurt daran völlig verhoben.
Es mag sein, dass das gesamte Produktionsteam durch die Proben, die Premiere und die dicht folgenden vier weiteren Vorstellungen bei der letzten Aufführung ermattet sind und nicht mehr die Qualität der vorhergehenden Termine bieten können. Dazu scheinen akustische Besonderheiten des Zuschauerraums oder des Bühnenbilds zu kommen, dass die Musik an manchen Plätzen nicht befriedigend klingt. So ist auffällig, dass Sänger an bestimmten Positionen laut zu hören sind, drehen sie sich um, sind sie akustisch wie ausgeblendet. Jedenfalls muss ich leider von einer musikalischen Katastrophe berichten. Schon die mir bisher unbekannte Ouvertüre, die bei den als Aufnahmen vorliegenden Aufführungen jeweils weggelassen wurde, poltert deftig daher. Dirigentin Zoi Tsokanou scheint an den Feinheiten der Musik kein Interesse zu haben. Es fehlt aber auch die große Geste. Von Akzentuierung keine Spur. Gerade einmal erahnen kann man, dass da Melodien vorhanden zu sein scheinen. Herausgearbeitet sind sie nicht. Sie gehen völlig unter. Die Dirigentin hetzt mit dem ebenso überfordert scheinenden Philharmonischen Orchester Erfurt (ergänzt durch Mitglieder der Thüringer Philharmonie Gotha-Eisenach) so durch die Partitur, dass für Interpretation kein Atem mehr ist. Dazu decken die Blechbläser die Streicher völlig zu. Die Sache wird mit dem Einsetzen des Chors eher noch schlimmer. Man ahnt am Anfang aus der verschwommenen Masse noch nicht einmal, in welcher Sprache eigentlich gesungen wird. Der Nonnenchor im zweiten Akt dann besonders schief.
Chor- und Orchestermassen bilden für die Gesangssolisten eine ziemliche Hürde. Sie gehen vielfach einfach unter. Das ist schade. Bernhard Berchtold kann der Tenorpartie des jungen Heinrich einige schöne Stellen schenken, ihm versagt am Ende des ersten Akts allerdings völlig die Stimme. Immerhin erholt er sich zum Ende wieder. Todd Wilander singt als Philipp die zweite Tenorpartie mit feinem Klang. Kammersänger Máté Sólyóm-Nagy singt Kaiser Heinrich VI. solide aber wenig durchsetzungsfähig. Der Bariton Siyabulela Ntlale hat als französischer König Philipp August schon mehr Schlagkraft und glänzt als bester Sänger des Abends. Im ersten Akt enttäuschend steigert sich Margarethe Fredheim als Agnes‘ Mutter Irmengard im zweiten Akt. Agnes selbst ist mit Claudia Sorokina wenig befriedigend besetzt. Kakhaber Shavidze gibt der Rolle des Erzbischofs Würde. Juri Batukov geht als Heinrich der Löwe hinter dem Chor völlig unter. Die Überforderung des gesamten Ensembles mag aber auch daran liegen, dass die Sänger diese teilweise überaus schwierigen Partien in zehn Tagen fünfmal singen mussten.
„Agnes von Hohenstaufen“ am Theater Erfurt: Siyabulela Ntlale und Bernhard Berchtold Foto: Lutz Edelhoff |
Die deutschtümelnden Töne des Texts brachten das Regieteam wohl auf die Idee, die Geschichte in den Ersten Weltkrieg zu verlegen. Allerdings gerade das passt ja nun überhaupt nicht, da in der Opernhandlung der französische König und der deutsche Kaiser ja ziemlich friedlich miteinander umgehen und eine Verschwägerung planen. Der Konflikt in der Oper ist doch wohl eher eine innerdeutscher Sache, mal abgesehen von der Sizilienproblematik, um die es auch geht.
Entsprechend dem Thema Erster Weltkrieg sieht man dann den Kaiser mit Pickelhaube im Feldlager, statt einem Gewitter mit Blitzeinschlag im Zweiten Akt ist es hier ein Bombenangriff. Und am Ende fährt ein Podest mit dem Kaiser noch oben, der dann als Kaiserstandbild posiert. Um das Thema Mittelalter dann doch noch unterzubringen, ist das Fest im ersten Akt als Kostümball angelegt (Kostüme Monika Gora). Ansonsten weiß man bei den Kostümen oft nicht so ganz, wann im 19. Jahrhundert man gerade ist. Wenn Agnes am Ende als Braut gekleidet wird, springt sie zeitlich mit ihrem kurzen Kleid sogar in die 1920er-Jahre. Während die Kostüme zumindest in der Festszene Farbe ins Bild bringen, bildet das Bühnenbild von Monika Gora einen grauen Hintergrund, einen sich nach hinten stark verengenden Raum, der manchmal verkürzt wird, und in dessen Seitenwänden sich große Türöffnungen auftun können. Besondere Stimmungen schafft vor allem das von Florian Hahn gestaltete Licht. Eine schöne Idee ist der runde Drahtkäfig für die Kerkerszene im zweiten Akt. Das große Kreuz als Symbol für die Klosterszene ist reichlich banal.
In diesem Raum hätte man eine spannende Regie machen können. Denn die Oper ist ja voll mit effektvollen Konfliktszenen und überraschenden Entwicklungen. Marc Adams Regie bleibt allerdings eher statisch. Da marschiert der Chor gruppenweise auf oder im Kreis herum. Ansonsten ist der Eindruck eher unbestimmt. Immerhin ist der Zweikampf im dritten Akt von Jean-Loup Fourure überzeugend choreografiert.
Besuchte Vorstellung: 10. Juni 2018 (Premiere am 1. Juni 2018)
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