Premierenkritik: „Dialogues des Carmélites“ von Francis Poulenc – Musiktheater im Revier Gelsenkirchen – 2018
Bedrohliche Schatten in einer bedrohlichen Zeit
– Ben Baur inszeniert „Dialogues des Carmelites“ (Gespräche der Karmelitinnen) von Francis Poulenc im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen –
von Klaus J. Loderer
Ein historisches Datum auf dunkler Wand, davor Frauen mit
Kerzen, die das „Salve Regina“ singen. Eine nach der anderen, hört auf zu
singen, bläst ihre Kerze aus und geht hinaus. Der Chor wird immer dünner. Bis
zuletzt nur noch eine Frau singt. Ein eindrückliches Bild, das uns Regisseur
und Bühnenbildner Ben Baur in seiner Inszenierung am Ende von Francis Poulencs
Oper „Dialogues des Carmélites“ (Gespräche der Karmelitinnen) in Gelsenkirchen
bietet. Zweifellos. Und doch frage ich mich, ob dieses Bild nicht verharmlost,
was an diesem 17. Juli 1794, den es übrigens in Frankreich nicht gab, da man im
Zuge der konsequenten Säkularisierung auch den christlichen Kalender
abgeschafft hatte, und eigentlich der 29. Messidor des Jahres II heißen müsste,
geschehen ist. Denn tatsächlich greift die Oper ein historisches Ereignis auf:
an diesem Tag wurden in Paris 16 Nonnen des Karmeliterklosters von Compiègne
auf der Guillotine hingericht. Man hat ihnen den Kopf abgeschlagen, wie einigen
Tausenden weiteren Menschen, die man nach der französischen Revolution für
Feinde der Freiheit hielt. Das Verbrechen der Nonnen war, dass sie beteten und
sich weigerten, ihr Gelübde zu brechen. Die Nonnen sind zusammen mit 1300
weiteren Opern der Herrschaft Robespierres auf dem Friedhof Picpus in Paris
bestattet. Dort liegt übrigens auch der Dichter André Chenier, der nur wenige
Tage nach den Nonnen seinen Kopf verlor – auch darüber gibt es eine Oper. Aber
in „Dialogues des Carmélites“ wird gleich ein ganzes Kloster am Ende der Oper
enthauptet. Gertrud von le Fort hat ihre 1931 erschienene Novelle, auf der die
1957 uraufgeführte Oper basiert, denn auch drastischer „Die letzte am Schafott“
genannt. Mère Marie überlebte auch in Wirklichkeit und hielt die Erinnerung an
die Geschichte wach.
„Dialogues des Carmélites“ in Gelsenkirchen
Foto: Karl und Monika Foster
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Die Schlussszene ist ein drastisches Ende der Oper. Sie ergreift.
Man ist entsetzt, wenn man begreift, was hier nun erbarmungslos geschehen wird.
Poulenc kontrastiert in seiner Musik den Gesang des „Salve Regina“ der Nonnen
mit dem harten „Wusch“ der herabfallenden Schneide der Guillotine. Doch immer
weder setzt das „Salve Regina“ der Nonnen wieder ein. Hierarchisch werden die
Nonnen hingerichtet bis mit der Hinrichtung der Novizin Constance verebbt: „O
pia, o dulcis Virgo Ma...“ Die aus der Menschenmenge gekommene Blanche nimmt den
Gesang auf: „Deo Patri sit gloria“, bis auch ihr Kopf abgetrennt wird. Das
zeigt seine Wirkung. Das wirkt auch, wenn man das nicht sieht, die Musik reist
schon genug mit. Auch in Gelsenkirchen benötigt das Publikum nach diesem Finale
eine kurze Pause, bis dann der Beifall einsetzt.
Noriko Ogawa-Yatake (alte Priorin)
Foto: Karl und Monika Foster
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Das Datum 17. Juli 1794 scheint in der Inszenierung von Ben
Baur schon zu Beginn der Oper auf. Eigentlich spielen die Szenen über einen
größeren Zeitraum, in Gelsenkirchen ist die gesamte Handlung auf einen Tag
zusammengerafft und rollt Teile als Rückblick, als Visionen der verängstigt in
ihrem Elternhaus kauernden Blanche, auf. Ben Baur zeigt uns eine geplünderte
Bibliothek. Man ahnt, dass über der zweiflügeligen Tür einmal ein Gemälde war,
dass das einmal ein eleganter Rokoko-Salon war. Nun ist alles öd und
ausgestorben, ausgeräubert von den Revolutionären. Hierher ist Blanche geflohen
und zündet nun einsam eine Kerze an. Die nur mit einem Hemdchen Bekleidete
findet im Regal eines ihrer Kleider aus der Zeit vor der Revolution, das sie
anzuziehen versucht, als sie meint ihren Vater und ihren Bruder zu sehen, die
sich um sie sorgen. Sie ängstigt sich vor den Schatten an der Wand, vor den
Schatten ihrer Erlebnisse. Der Diener, vor dem sie einmal erschrocken ist, ist
ebenso ein riesiger dunkler Schatten, wie die Volksmenge, von der sie sich
bedroht fühlte. Wir sehen die Schatten bedrohlich die Mistgabel schwenken. Die
harten dunklen Schatten in einer von Kevin Graber gestalteten Projektion
spielen eine wichtige Rolle in dieser Inszenierung. Auch die ersten Szenen im
Karmeliterkloster spielen in diesem Salon. Die Szenen mit ihrer Aufnahme in den
Orden durch die alte Priorin, mit Mère Marie und mit der Novizin Constance
erlebt sie noch einmal. Der Arzt ist wieder nur einer dieser Schatten. Aus
düsteren Schatten schälen sich im Leichenzug der Priorin die Nonnen hervor. Und
auch die aufgebahrte Priorin ist einer diese Schatten, der Blanche erschreckt.
Nach der Pause löst sich der Salon auf, die beiden
Einzelteile drehen sich, werden genauer gesagt von dem um das Klosterherumlungernden
Pöbel gedreht, die alte Welt gerät ins Wanken. Immer mehr nähern sich diese
bedrohlichen dunklen Gestalten dem Kloster. Der Bruder besucht Blanche ein
letztes Mal und wird dann auf der Straße ermordet. Dann flieht Blanche aus dem
Kloster, erschreckt durch den Schwur der Nonnen, gemeinsam das Martyrium zu
erleiden, als die Kommissare das Kloster räumen lassen. Der Salon fügt sich
wieder zusammen. Wir sehen das Anfangsbild mit der kauernden Blanche. Bis
hierher war die Inszenierung als Rückblick gedacht. Es folgt das Bild mit den
Nonnen im Kerker und schließlich die oben beschriebene Hinrichtung.
Die Kostüme von Uta Meenen greifen bei der Familie von
Blanche Kleidung des Ancien Régime auf. Bei den Nonnen ist als Detail doch
anzumerken, dass es sich um „unbeschuhte Karlmelitinnen“ handelt, es wären also
statt der Schuhe Sandalen passend gewesen. Das Volk ist konsequent in Schwarz
gekleidet, um die Bedrohlichkeit zu unterstreichen, hier allerdings in einer
erst für das 19. Jahrhundert typischen Kleidung, aber solche Kostümkollagen
sind ja gerade üblich.
Die gesanglichen Leistungen sind unterschiedlich.
Hervorzuheben ist Noriko Ogawa-Yatake als alte Priorin. Ihr steht die neue
Priorin Petra Schmidt nicht nach. Bele Kumberger als nicht nur überspannte
sondern etwas übertrieben traumatisierte Blanche singt in den ruhigen und
stillen Partien sehr schön, neigt allerdings in den Höhen und lauten Stellen
dazu, unangenehm scharf zu werden; es ist überzogen, wenn sie Constance
dermaßen ankeift. Almuth Herbst verkörpert eine ruhige Mère Marie, aber auch
sie müsste Blanche nicht dermaßen anblöken, weil sie ihren Posten in der
Kapelle verlassen hat. Diese Aufgeregtheit passt nicht so ganz zur stillen
Szenerie des Karmels. Unter den Männerrollen singt Ibrahim Yesilay als
Chevalier de la Force mit schönem Tenor. Bei Rasmus Baumann hätte man sich eine
stärkere Akzentuierung des Orchesters gewünscht – aber trotzdem ein eindrucksvoller Klang dieser besonderen Stimmung, den die Neue
Philharmonie Westfalen da entfaltet.
Besuchte Vorstellung: Premiere am 27. Januar 2018
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