Opernkritik: „La Juive“ von Fromental Halévy – Oper Dortmund

Skandal unter dem Blumenstrauß 

– „La Juive“ (Die Jüdin) von Fromental Halévy an der Oper Dortmund – 

von Klaus J. Loderer

 

Halévs Oper „Die Jüdin“ gehört zu den großen Werken des 19. Jahrhunderts. Das damals viel aufgeführte Werk flog in Deutschland im Dritten Reich aus den Spielplänen. Es dauerte, bis das Werk wieder auftauchte. Die Oper Dortmund gehört zu den wenigen Theatern in Deutschland, das Halévys Werk innerhalb von dreißig Jahren sogar schon zum zweiten Mal herausbrachte. Die Neuproduktion war aber nicht einfach. Zuerst tauschte das Opernhaus den Regisseur. Auch der Premierentag wurde spannend, da Karl-Heinz Lehner als einer der Hauptdarsteller mittags absagte. Die Alternativbesetzung Denis Velev musste schnell aus Paris nach Dortmund kommen. So wurde der Premierenbeginn um eineinhalb Stunden verschoben.


Denis Velev (Kardinal de Brogni), Mirko Roschkowski (Élézar), Barbara Senator (Rachel), Opernchor Theater Dortmund

Foto: Thomas M. Jauk


Dass sich das Opernhaus Dortmund gerade einmal zwei Wochen vor der Premiere von Regisseur Lorenzo Fiorioni trennte und der Nachfolger Sybran van der Werf dementsprechend wenig Zeit hatte, eine sinnvolle Neukonzeption zu entwickeln, war der Produktion schon anzumerken. Zumal es sich bei „Die Jüdin“ um eine fünfaktige Oper handelt mit einer komplexen Handlung, nicht wenigen Solisten und zahlreichen Chorauftritten. So stand die eher gebremste Inszenierung im Gegensatz zur leidenschaftlichen Musik mit all ihren Stimmungswechseln.


Glücklicherweise hat die Oper Dortmund einige herausragende Solisten verpflichtet. Besonders die Rolle des jüdischen Goldschmieds Éléazar gehört zu den schwierigen Tenorpartien. Für diesen war Mirko Roschkowski, ein gefragter Sänger im französischen Fach, eine glückliche Besetzung. Er brachte die richtige Mischung aus lyrischer Sanftheit und kräftigem Gesang mit, ohne unangenehm forcieren zu müssen. Mirko Roschkowski gab Éléazar eine menschliche Note, die sein Schicksal bedauern lässt. Insonfern nahm man ihm die Zerrissenheit der Rolle, das Schwanken zwischen Rache und Verzeihen, die Verzweiflung im Kerker, die Erinnerung an den Verlust der Familie in Rom ab. Seine Spielfreude überdeckte glücklicherweise die allzu häufig aufkommende Zähigkeit der Inszenierung. 


Einen Verlust seiner Familie hat Kardinal de Brogni in Rom vor seiner geistlichen Karriere auch erlitten. Dass er diesen über den Éléazars stellt, macht ihn wenig sympathisch. Mit etwas mehr Menschlichkeit könnte er im Verlauf der Oper seine vermisste Tochter retten, als die sich Rachel am Ende herausstellt. Der in Bulgarien geborene Denis Velev verkörperte diesen Machtmenschen mit seinem markanten Bass. Namensgebende Figur der Oper ist Éléazars Tochter Rachel. Barbara Senator war mit hellem Sopran und einer erfreulichen Rollengestaltung zu hören. 


Barbara Senator, Mirko Roschkowski, Sungho Kim

Foto: Thomas M. Jauk


Zu diesem Handlungsstrang hat Librettist Eugène Scribe in der 1835 in Paris uraufgeführten Oper noch einen Handlungsstrang erfunden: Rachel liebt einen Christen, der sich als Jude ausgibt. Dass er kein Jude ist, hätte sie ihm in ihrer Verliebtheit ja noch verziehen, aber als sie erfährt, dass er verheiratet ist, sorgt sie für einen Skandal. Dieser Fürst Léopold ist die zweite Tenorpartie der Oper. Sungho Kim bietet eine leuchtende Höhe. Enkeleda Kamani durfte man als Prinzessin Eudoxie mit in den Höhen sicherem Sopran erleben. Mit schönem Bariton gab es Mandla Mndebele als Ruggiero. In weiteren Rollen waren Degyun Jeong (Albert), Hiroyuki Inoue (Haushofmeister) und Carl Kaiser (Henker) zu hören.


In den beiden letzten Akten versuchen alle Beteiligten ihre eigenen Beteiligten ihre Situation zu retten – und das durchaus auf Kosten der Anderen. Einzig integre Gestalt ist Rachel, die am Ende der Oper geopfert wird. Das wieder auf der Bühne sitzende Festpublikum schaut dieser bildmächtigen Kreuzigung in der Dortmunder Inszenierung unbeteiligt zu.


Die Produktion verzichtete auf das historische Kolorit der Oper, die während des Konzils von Konstanz spielt, im ersten Akt sogar direkt vor dem Münster. Aber auch diese konkrete Örtlichkeit spielte keine Rolle im Bühnenbild von Martina Segna und Sybrand van der Werf. Der während der ganzen Oper zu sehende neutrale Raum diente als Platz, Élézars Wohnzimmer und Festsaal. Für die Pesachszene wurde ein Tisch reingetragen, für die Festszene gab es weiße Stühle und von oben hing ein riesiges Blumenbouquet. Nur für die Kerkerszenen wurde die Unterbühne heraufgefahren, um eine beengte Atmosphäre zu schaffen. Einzig die Öffnung an der rechten Seitenwand schuf mit dem Scherengitter eine Reminiszenz an einen Laden. Die Handlung sollte irgendwie im 20. Jahrhundert spielen. Annette Brauns Kostüme sorgten für wenige Farbklecks, insbesondere Rachels gelbes Ballkleid und das rote Kardinalsgewand.


Musikalisch spannend machte die Aufführung Philipp Armbruster mit den gut geprobten Dortmunder Philharmonikern. Armbruster ließ sich auf die teilweise mächtige Orchestermusik ebenso ein wie die eingängigen Melodien mit Ohrwurmcharakter. Dazu kam noch der von Fabio Mancini gut einstudierte Opernchor.

 

Besuchte Vorstellung: Premiere: 6. November 2022

Opernhaus Dortmund


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