Opernrarität: „Alpenkönig und Menschenfeind“ von Leo Blech – Theater Aachen – 2022
Die Bekehrung des Misanthropen
– Leo Blechs 1903 in Dresden uraufgeführte Oper „Alpenkönig und Menschenfeind“ am Theater Aachen –
von Klaus J. Loderer
Im Foyer des Theaters Aachen hängt neuerdings eine Tafel, die an den Komponisten und Dirigenten Leo Blech erinnert. 1931 war der 1871 in Aachen geborene Generalmusikdirektor der Staatsoper Berlin zum Ehrenmitglied des Theaters Aachen ernannt worden, Nach Stationen als Kapellmeister in Aachen und am Neuen Deutschen Theater (heute Staatsoper) in Prag war Leo Blech ab 1906 an der Hofoper Berlin, am Deutschen Opernhaus Charlottenburg, an der Großen Volksoper (Theater des Westens) in Berlin, an der Volksoper Wien und schließlich wieder als Generalmusikdirektor an der Staatsoper Berlin. Neben seiner Dirigententätigkeit wurde er durch die Kompositionen von Liedern, sinfonischen Werken und Opern und ab 1916 durch zahlreiche Schallplattenaufnahmen bekannt. Trotz seiner jüdischen Abstammung blieb er auch im Dritten Reich unter dem Generalintendanten Heinz Tietjen bis 1937 an der Staatsoper. Die Jahre im Exil verbrachte Blech in Lettland und Schweden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Leo Blech einige Jahre Generalmusikdirektor der Städtischen Oper Berlin, aus der die Deutsche Oper hervorging, und starb 1958 in Berlin. Die Stadt Berlin ließ übrigens sein Ehrengrab 2013 abräumen. Immerhin konnte durch eine private Initiative der Grabstein gerettet werden. Das Theater Aachen hat sich seines einstigen Ehrenmitglieds nun wieder erinnert und nicht nur die Ehrenmitgliedschaft erneuert sondern auch 2021 eine Oper Blechs auf CD eingespielt und nun in den Spielplan aufgenommen.
Ronan Collett als Alpenkönig und Paul Armin Edelmann als Rappelkopf
Foto: Wil van Iersel |
Oper nach einem Zauberspiel von Ferdinand Raimund
„Alpenkönig und Menschenfeind“ (in der zweiten Fassung „Rappelkopf“) ist wie alle Opern Blechs völlig in Vergessenheit beraten. Die Oper basiert auf dem gleichnamigen, 1828 uraufgeführten Zauberspiel Ferdinand Raimunds. Allerdings hat der Librettist Richard Batka die Struktur stark verändert. 1903 fand die Uraufführung im königlichen Opernhaus in Dresden statt. Manchmal mit mächtigem Orchestersklang und viel Blech, dann wieder volksliedhaft beschwingt hat sich der Komponist deutlich hörbar von Wagner inspirieren lassen. Dass dann auch noch Motive aus „Hänsel und Gretel“ herausschimmern, erstaunt nicht, hatte Blech doch Unterricht bei Engelbert Humperdinck. Am Ende des Akts liegt der musikalische Höhepunkt der Oper mit Stimmungsbildern der Berglandschaft und einem Sonnenuntergang. Im Finale gemahnt der Alpenkönig ebenso an den Wotan der „Walküre“ wie man Anklänge an Humperdincks Abendsegen heraushören kann.
Regisseurin Ute M. Engelhardt gelang es in Aachen trotz einiger markanter aber nicht unbedingt einleuchtender Bilder nicht wirklich eine spannenden Geschichte zu erzählen. Bühnenbildnerin Henriette Hübschmann hat eine nach hinten ansteigende runde Scheibe als Spielfläche auf die Bühne gestellt. Jede Szene wurde von ihr mit einem Symbol versehen, im ersten Akt ein sich aufbäumendes Pferd, dann ein düsterer Lehnstuhl mit Pferdeköpfen, im zweiten Akt greift der Alpenkönig das Pferdekopfmotiv auf und im dritten Akt ist es eine riesige, erblühende Rosenblüte. Nun geht es im dritten Akt (allerdings eher beiläufig) um das Schneiden einer Rose, das Pferdemotiv bleibt unklar.
Netta Or als Marthe in „Alpenkönig und Menschenfeind“
Foto: Wil van Iersel |
Schmetterlinge und ein Pferd
Die Scheibe ist im ersten Akt von einem faltigen Tuch bedeckt, auf dem zahlreiche Schmetterlinge mit den Flügeln schlagen. Auf dieser symbolischen Bergwiese wartet Marthe in Gesellschaft der Bediensteten Lieschen auf ihren Verlobten, den Musiker Hans, der in Italien war, um Karriere zu machen. Daheim kann sie ihn nicht treffen, denn der Vater will von der Ehe mit einem Musiker nichts wissen. Lieschen erzählt vom Alpenkönig, bei dessen Anblick Mädchen angeblich sofort zu alten Frauen altern. Doch erst einmal hören wir ein schönes Duett der beiden Frauen, zart gesungen von Netta Or (Marthe) und Anna Graf (Lieschen). Immer wieder hat Blech volksliedhaft schlichte Melodien eingebaut.
Das Begrüßungsduett zwischen Marthe und dem zurückgekehrten Hans bleibt leider von dessen Seite hölzern; Soon-Wook Ka kann hier nicht überzeugen. Dagegen erfreut Netta Or nicht nur mit ihrem wie immer schönen Sopran sondern schafft mit kleinen Gesten ein überzeugendes Spiel. Den Auftritt des Alpenkönigs Astralagus gestaltet der britische Bariton Ronan Collett mit einer gehörigen Portion Dramatik. Dass der Alpenkönig schon im Raimund-Stück nach der als Tragant bekannten Pflanze Astragalus benannt ist, auss der man schon seit Langem stärkende Mittel gewonnen werden, deutet schon an, dass es in der Oper um eine Heilung geht.
Flucht ins Gebirge
Die Scheibe stellt auch das Haus des Mistantropen Rappelkopfs dar, macht nun aber einen düsteren Eindruck. Einziges Möbel ist ein dunkler Ohrensessel mit zwei Pferdeköpfen. Rappelkopf, von Kostümbildnerin Henriette Hübschmann mit Prunkweste ausgestattet, bildet sich ein, dass seine Frau einen Mordanschlag auf ihn plant und ist darob in Dauerpanik. Paul Armin Edelmann liegt diese tiefe Baritonpartie. Irina Popova bleibt als seine Frau Sabine eher blass und fällt vor allem durch ihr mit Pfauenfedern bestücktes Kleid auf. Parodistisch darf der Diener Habakuk sein (Alexander Wanat springt als Darsteller für den erkrankten Joshua Owen Mills ein, während Hyunhan Hwang von der Seite singt).
Gut gelaunt geht es beim Tischler Veit (Pawel Lawreszuk) zu, der lieber auf die Kirchweih möchte als einen Auftrag fertig zu machen. Dazu probiert er seine Klarinette aus, was Leo Blech zu einer schrägen Parodie nutzt. Regisseurin Ute M. Engelhardt verstärkt diese Szene mit Ayaka Igarashi als Katherine und Jelena Rakic als Susel noch durch die Einführung eines Sohnes (Ken Bridgen), der auf einer Schaukel schwebend mit seinen Armstümpfen (ist er in die Kreissäge geraten?) eine imaginäre Trommel schlägt. Die unbeschwerte Szenerie ist eine Gegenwelt zu Rappelkopf, der, wegen des vermeintlichen Mordanschlags ins Gebirge geflohen, das Haus erwirbt, um die Abwesenheit von Menschen zu genießen. Das vom Sinfonieorchester Aachen unter der Leitung von Christopher Ward mit dominierenden Blechbläsern aufgebaute musikalische Pathos findet auf der Bühne leider keine Entsprechung. Die Inszenierung übergeht dieses Alpenglühen schlichtweg.
Netta Or als Marthe, Anne-Aurore Cochet als Lieschen und Joshua Owen Mills als Habakuk
Foto: Wil van Iersel |
Die Kurieren des Misanthropen
Im dritten Akt spielt der Alpenkönig, als Rappelkopf verkleidet, mit besonderer Biestigkeit den Hausherrn, um diesen zu kurieren. Rappelkopf, als sein Schwager verkleidet, erkennt nach einiger Skepsis, dass ihm Frau und Tochter doch zugetan sind. In der Schlussszene ist es wieder Netta Or, die mit ihrem einfühlsamen Spiel dafür sorgt, dass in der Familie eine neue Harmonie entstehen kann.
Premiere: 11. September 2022
Besuchte Vorstellung: Dernière am 4. Dezember 2022
Theater Aachen
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