Opernkritik: Giacomo Meyerbeers Singspiel „Ein Feldlager in Schlesien“ an der Oper Bonn

Der König schreitet gebeugt über das Schlachtfeld 

– Giacomo Meyerbeers Opernrarität „Ein Feldlager in Schlesien“ an der Oper Bonn – 

von Klaus J. Loderer


Wenn Friedrich II. von Gram gebeugt über das Schlachtfeld schreitet, löst das die pathetische Hymne auf den preußischen König, mit der Giacomo Meyerbeers Oper „Ein Feldlager in Schlesien“ endet, auf. Regisseur Jakob Peters-Messer holt so die Oper in der Bonner Produktion auf eine menschliche Ebene zurück. Der König hält seine Flöte in der Hand, jenes Instrument, mit dem er nicht zuletzt durch das berühmte Gemälde Menzels verklärt wurde. In dieser Oper spielt die Flöte eine wichtige Rolle. Doch diese Oper handelt auch von Krieg und dessen Folge zeigt die Inszenierung auch.


„Ein Feldlager in Schlesien“ gehört zu den vergessenen Werken der Operngeschichte. Am 7. Dezember 1844 diente diese Oper der festlichen Wiedereröffnung der Hofoper in Berlin. Das königliche Opernhaus – heute die Staatsoper unter den Linden – war 1843 abgebrannt und nach einer Bauzeit von nur etwas mehr als einem Jahr fertiggestellt worden. Für diesen Anlass komponierte der in Paris lebende, damals durch Opern wie Robert le diable und Les huguenots bekannte Komponistenstar Giacomo Meyerbeer ein Singspiel, in dem Anekdoten aus dem Leben Friedrichs des Großen, also des preußischen Köngis Friedrich II. eingearbeitet sind. Den historischen Hintergrund lieferte der Siebenjährige Krieg, was Librettist Eugène Scribe dazu nutzte, die Geschichte um den Hauptmann a.D. Saldorf und seine Familie mit gehöriger Dramatik aufzupäppeln. So wird Saldorf im zweiten Akt sogar für den vermeintlichen Tod des Königs verantwortlich gemacht. Der Neffe ist durch ein Todesurteil während der ganzen Oper von Erschießung bedroht. Aber so ganz als Tragödie kommt die Oper dann doch nicht daher. Wäre die Musik Meyerbeers etwas leichter, die Oper wäre eine Komödie geworden. Besonders im dritten Akt ist das Hin- und Her in Schloss Sanssouci eher komödienhaft und führt schließlich zum Happy End. Dass der französische Schriftsteller als Ausländer bei der Berliner Uraufführung nicht genannt wurde und dafür der Name des Übersetzers Ludwig Rellstab herhalten musste, führte amüsanterweise dazu, dass König Friedrich Wilhelm IV. als Autor vermutet wurde.


„Ein Feldlager in Schlesien“ an der Oper Bonn: Elena Gorshunova (Vielka), Barbara Senator (Therese), Michael Ihnow (Chronist), Tobias Schabel (Saldorf)

Foto: Thilo Beu


Meyerbeer gab den drei Akten völlig unterschiedliche Ausprägungen. Der zweite Akt wirkt mit seiner Bombastmusik vordergründig wie eine Glorifizierung der preußischen Militärgeschichte und kumuliert zu den Klängen des Dessauer-Marsches in einem Schwur auf König und Vaterland, doch wird das schon im Libretto an einigen Stellen gebrochen und durch den Hinweis auf die drohenden Toten konterkariert. In der Aufführung der Oper Bonn, die dem Werk als Meyerbeer-Rarität in der Reihe „Fokus ’33“ nach mehr als hundert Jahren wieder auf die Bühne verhalf, erfolgt eine weitere Brechung durch die Einfügung eines Textes, der das Grauen auf dem Schlachtfeld beschreibt. Folgerichtig spaziert im Finale der Bonner Aufführung ein gebeugter König Friedrich II. über das mit Leichen übersäte Schlachtfeld. Das ist ein starkes Ende und hat so gar nichts von der Friedrich-Verklärung des 19. Jahrhunderts. So richtig mag man sich in Bonn von diesem historischen Kriegstreiber aber nicht distanzieren. Es bleibt bei der preußischen Perspektive, somit wird völlig übergangen, dass Friedrich Schlesien erst wenige Jahre vor der Opernhandlung mit einem Überfall auf Österreich besetzt hat. Das war 1844 bei einer Aufführung in Berlin klar. Aber heute wäre es nicht nötig gewesen, dem Libretto entsprechend die ungarischen Reiter als wilde Gestalten auszustaffieren. Gerade im Hinblick auf den gerade stattfindenden russischen Überfall auf die Ukraine wäre in diesem Punkt etwas Distanz angesagt gewesen. Diesem Thema versucht man in Bonn mit einem Zitat des ukrainischen Präsidenten Selensky gerecht zu werden.


„Ein Feldlager in Schlesien“ an der Oper Bonn: Ensemble

Foto: Thilo Beu


Die scheinbare Schlammigkeit eines Schlachtfelds bildet den Bühnengrund für die Bonner Produktion. Ansonsten vermeidet Sebastian Hannaks Bühnenbild aber allzuviel Bühnenrealismus. Der zweite Akt spielt auf einem in der ersten Pause über den vorderen Parkettreihen aufgebauten Plateau (die entsprechenden Zuschauer sitzen einstweilen auf einer Tribüne auf der Bühne). Im dritten Akt schwebt dann ein Rokokozimmer von oben herab, wird aber stilisierend auf Holzböcke gesetzt. Die Kostüme Sven Bindseils verweisen allerdings bei den Solisten eher auf das frühe 19. Jahrhundert und nur bei den Soldaten auf das achtzehnte. Regisseur Jakob Peters-Messer setzt in Form von Michael Ihnow einen „Chronisten“ ein, der die stark reduzierten gesprochenen Dialoge erzählt, noch weitere Texte und Briefe zum Verständnis der Oper vorträgt und, sich um Scheinwerfereinstellungen kümmernd, wie ein Regisseur agiert.


Von Friedrich II. ist in der Oper viel die Rede, er ist öfters im Nebenzimmer aber es gibt ihn nicht als Rolle. Ein Flöte spielender König und ein Flöte spielender Musiker bilden nicht nur die Basis für eine Verwechslung, die im ersten Akt zur Rettung Friedrichs führt, sondern natürlich auch die Möglichkeit entsprechende Solostellen in die Partitur einzubauen. Im ersten Akt geschieht das mittels eines Probespiels, mit dem der entfliehende König beweisen soll, dass er der Musiker Conrad ist, im dritten Akt mit einer Wiederholung der Melodie in einer umfangreichen Szene mit der gleich von zwei Flöten begleiteten Sopranistin. Die beiden Flötisten des Beethovenorchesters Mariska van der Sande und Julia Bremm tragen mit ihren Soli zur effektvollen Wirkung dieser Szene bei. Dieser dritte Akt ist überaus melodienreich angelegt. Elena Gorshunova verleiht diesem Akt als Vielka mit ihren Koloraturen Glanz und schwelgt in den Melodien, doch gibt sie ihren Visionen und Beschwörungen auch einen Hauch Dramatik. Barbara Senator singt die etwas tiefer angelegte zweite Sopranpartie als Salfelds Tochter Therese mit sanftem Charakter. Dem Buffofach zugeneigt ist die Rolle von Salfelds Pflegesohn Conrad. Jussi Myllys hat den leichten lyrischen Tenor dazu, wirkt aber in der Höhe etwas schrill. Tobias Schabel, seit 2019 im Ensemble der Oper Bonn, setzt seinen Bass sanft väterlich ein, braust im zweiten Akt entrüstet auf und wird dann möchtig pathetisch. Der bulgarische Martin Tzonev gibt einen martialischen Tronk und später einen hochnäsigen Höfling.

Barbara Senator (Therese), Elena Gorshunova (Vielka) und Jussi Myllys (Conrad)

Foto: Thilo Beu


Es ist das Zigeunermädchen Vielka, Saldorfs Ziehtochter, das am Ende der Oper in einer Apotheose die Zukunft Preußens voraussagt: „Heil Dir im Sternenglanz …“ Ihre Rolle ist so wichtig, dass bei späteren Aufführungen in Wien die Oper sogar unter dem Namen „Vielka“ gespielt wurde. Meyerbeer hat dann Teile der Oper übrigens noch in „L’Etoile du Nord“ verarbeitet. Trotz des Verzichts auf den aus neun Bildern bestehenden Epilog kommt die Bonner Aufführung mit zwei Pausen auf mehr als dreieinhalb Stunden.


Eine wichtige Rolle spielen in „Ein Feldlager in Schlesien“ die Chöre. Besonders wirkungsvoll sind sie im zweiten Akt angelegt. Meyerbeer symbolisiert effektvoll vier Soldatengruppen sich widerstreitender Waffengattungen durch vier Chöre. Hier sticht der Tenor Christian Georg als Zietenscher Husar und alter Landmann heraus. Den anderen Waffengattungen stehen Miljan Milovic, Michael Krinner und Enrico Döring vor. Sanfter als die martialischen Männerchöre sind die Frauenchöre. Dem von Marco Medved einstudierten Chor und Extrachor des Theaters Bonn wird in diesem ausgesprochenen Chorakt viel abverlangt. Das Publikum feiert den Chor entsprechend am Ende des Akts. Hermes Helfricht kostet mit dem Beethovenorchester Bonn den Melodienreichtum Meyerbeers aus und sorgt im zweiten Akt mit den Zuschauerraum platzierten Blechbläsern für Fortissimo (die Premiere dirigierte Dirk Kaftan).

 

Premiere: 13. März 2022 (ausgefallen), 22. April 2022

Besuchte Vorstellung: 15. Mai 2022

Opernhaus Bonn

 

 


 


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