Theatergeschichte: Die Eröffnung des Gärtnerplatztheaters in München 1865

Klara Ziegler spielte die Isarnixe, Minna Wagner die Ernestine 

– Das Actien-Volks-Theater am Gärtnerplatz in München wurde mit Jacques Offenbachs „Salon Pitzelberger“ eröffnet – 

von Klaus J. Loderer


Das Theater am Gärtnerplatz in der Isarvorstadt entstand als Münchener Actien-Volks-Theater. König Ludwig II. unterstützte das private Theaterprojekt. Planer des Neubaus war der Baumeister, Zimmermann und Hofschreiner Franz Michael Reiffenstuel., der in München einige Bauten nach Plänen Friedrich von Gärtners und Leo von Klenzes ausführte. Der Grundstein wurde am 25. August 1864 gelegt. Bereits ein Jahr später war das Theater fertig. Es wurde am Samstag, den 4. November 1865 eröffnet. 

 

Winter’s Theater-Korrespondenz gibt uns eine kurze Beschreibung des Zuschauerraums: „Die Eröffnung unseres neuen Volkstheaters hat gestern Abend unter massenhaftem Zudrang des Publikums, bei festlich beleuchtetem Hause stattgefunden. War man schon von der ebenso eleganten als geschmackvollen Ausstattung des Logenhauses und der außerordentlich reichen Beleuchtung sehr befriedigt, so war dies noch mehr bezüglich der Vorstellung der Fall. Der Plafond des Logenhauses wurde von Eugen Neureuther einfach aber schön gemalt, und der reiche Gasluster ist aus der Fabrik von Riedinger in Augsburg. Nachdem wir uns im Logenhause umgesehen und unser Blick der Bühne zuwandten, begegnen wir den prachtvoll ausgestatteten Königs-Logen und finden einen einfach gehaltenen, von Maler Spies gemalten, Vorhang. Das Haus faßt ungefähr 1800 Personen, hoffen wir, daß es allabendlich gefüllt ist. […] Der nach Beendigung des Festspiels herabgerollte Vorhang, nach einem Entwurfe von Liezenmayer, ausgeführt von Liezenmayer und Häberlein, zeigt uns ein buntes Bild, den Schalksnarren, die Tragödie, das Märchen, die Musik &c.“ (Winter’s Theater-Korrespondenz von und für Deutschland, X. Jahrgang, II. Semester, Nr. 33, 12. November 1865)


Decke im Zuschauerraum des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Foto: Klaus J. Loderer

Die Eröffnungsvorstellung am 4. November 1865

Winter’s Theater-Korrespondenz widmet sich natürlich auch der Aufführung. Diese bestand aus dem Festspiel „Was wir wollen“ mit einem Text von Herman Schmid und Musik von Georg Krempelsetzer, einer Festouverture des Kapellmeisters Conradin und einem aus drei Teilen bestehenden Ballett. Werke, Autoren und Komponisten sind heute längst vergessen. Aber eine Darstellung des Festspiels ist heute noch ein Begriff. Denn die Isarnixe wurde von der später bekannten Schauspielerin Klara Ziegler dargestellt, deren Nachlass die Basis für das Deutsche Theatermuseum in München bildete. Aber das nächste Stück ist heute noch manchmal auf den Spielplänen zu finden. Als letztes Stück gab es Offenbach-Operette „Eine musikalische Soiré in der Vorstadt“, die heute eher nach ihrem französischen Titel „Salon Pitzelberger“ bekannt ist. 

 

Die Theater-Korrespondenz beschreibt den Eröffnungsabend ausführlich: „Wenden wir uns nun der Vorstellung zu. Eine von dem zweiten Kapellmeister Hrn. Krempelsetzer componirte nur etwas lang gewordene Ouverture machte den Anfang. Nach Beendigung der Ouverture rollt der Vorhang in die Höhe und wir sehen eine vom Mondlicht beleuchtete Waldgegend, die uns das Isarthal bei Schwaneck recht deutlich vor Augen führt. Das von Dr. Hermann Schmid verfaßte Festspiel beginnt. Die „Isarnixe“ (Frl. Ziegler) schildert ihre Liebe zu München und in Bälde gesellt sich das „Münchener Kindl“ (Hr. Kneis) zu ihr, und aus der nun folgenden Unterhaltung entnehmen wir, daß in München, trotz Bierhallen und Salons, die Langeweile einzuziehen drohe. Diesem Leid wird aber abgeholfen. Es erscheinen in kurzen Reihenfolgen die von Land zu Land Vertriebenen, „Volksdichtung“ (Fräul .Filbach), das liebliche „Märchen“ (Fräul. Wagner) die stets sich streitenden „Laune“ (Fräul. Hausmann) und „Ernst“ (Hr. Werner), der dreigestaltige „Ton“ (Hr. Straßmeyer, Frl. v. Webersfeld und Hr. Eichheim) und schließlich der „Schalksnarr“ (Hr. Kalwo); sie alle kamen um ihre Dienste anzubieten und wurden, nachdem sie Proben ihrer Leistungsfähigkeit (durch lebende Bilder versinnlicht) abgelegt, freundlich aufgenommen. Der Zug beginnt, und nachdem die zu den lebenden Bildern gestandenen Personen an uns vorübergezogen, gruppiren sich dieselben um die „Isarnixe“ und diese schließt (während die feenhafte, im bengalischen Feuer strahlende Schlußdecoration aus der Erde aufsteigt) in kurzer Darlegung das „Was wir wollen“ das Festspiel. Dies in aller Kürze der Verlauf desselben, was wir mit Vergnügen als vorzüglich bezeichnen. Das zahlreiche Publikum erkannte dies auch freundlich an und rief den Verfasser mit den darstellenden Künstlern zu wiederholten Malen stürmisch hervor. Alle Mitwirkenden waren von dem Wunsche beseelt, dem „Was wir wollen“ das was sie können, beizufügen, was ihnen auch auf’s glücklichste gelang. Stürmisch hervorgejubelt wurde Director Engelken, galt es doch dem Manne zu zeigen, wie man ihn ehrt und schätzt und welche Hoffnungen man auf seine kunstgeübte leitende Hand setzt; und daß diese Hoffnungen in Erfüllung gehen, dafür bürgt uns der Name Engelken. Maler Jank, Maschinist Brand wurden ebenfalls stürmisch gerufen, dann wurden dem Erbauer des prächtigen Hauses, der sich mit seinem reizenden Töchterchen in einer Mittelloge befand, Hrn. Reifenstuel, der Dank durch stürmischen Beifall ausgedrückt. ––Der vom ersten Kapellmeister Conradin componirte Fest-Ouverture, welche ebenfalls sehr beifällig aufgenommen wurde, folgte das Ballet. Fräul. Lenoir, eine jugendliche schöne Erscheinung, welche mit Hrn. Balletmeister Paul ein großes „Pas de deux“ aus „Esmeralda“ tanzte, wurde für ihre graziösen Pas mit Beifall überschüttet, ebenso Frl. Söhlke, die mit großer Virtuosität einen Spitzen-Pas zur Geltung brachte und hiefür mit Balletmeister Paul stürmisch gerufen wurde. Das Corps de Ballet producirte sich in einer Quadrille auf’s Vortheilhafteste und erhielt hiefür den Beifall des Publikums, das von den schönen Erscheinungen der jungen Damen entzückt schien. – Den Schluss der Vorstellung bildete die bekannte Offenbach’sche Operette „Salon Pitzelberger“, hier „Eine musikalische Soirée in der Vorstadt“, in welcher der Komiker Herr Frank und die reizende Soubrette Frl. Wagner in’s Treffen geführt wurden, aus dem sie siegreich hervorgegangen sind. Hr. Frank ist ein Komiker aus der alten guten Schule und Frl. Wagner kann wohl mit Cäsar ausrufen: „Ich kam, sah und siegte!“ Fräul. v. Webersfeld sang den Walzer von Venzano und Hr. Ueberhorst ein Lied von Gumbert, wofür sie den Beifall des Publikums erhielten. Mit mehrmaligem Hervorruf schloß endlich die Vorstellung und die zahlreiche Menge verließ zufrieden das Haus, wo ihr noch viele genußreiche Abende bevorstehen werden. Die nächsten Tage werden uns schon Gelegenheit geben, das übrige Personal kennen zu lernen und so wünschen wir denn, daß das Münchener Publikum dem neuen Unternehmen seine Gunst in recht reichem Maaße zuwenden möge.“ (Winter’s Theater-Korrespondenz von und für Deutschland, X. Jahrgang, II. Semester, Nr. 33, 12. November 1865)


4. November 1865 im Action-Volkstheater in München

Minna Wagner

Die zuletzt genannten Lieder wurden wohl als Einlagen zwischen den anderen Stücken gegeben. Dem Theaterzettel des Abends kann man entnehmen, dass drei Einlagen gegeben wurden: Fräulein von Webersfeld sang den „Venzano-Walzer“, Regisseur Ueberhorst sang das Bariton-Lied „Du liebes Aug’, du holder Stern“ von Ferdinand Gumbert und Minna Wagner, die in der Offenbach-Operette als Ernestine zu sehen war, sang die Arie der Susanna aus Mozarts „Figaros Hochzeit“. Bei dieser Minna Wagner handelt es sich allerdings nicht um Richard Wagners Ehefrau Minna Wagner geb. Planer. Vielmehr war diese Minna Wagner eine damals 25jährige Schauspielerin und Sängerin, die gerade ihr Debut im Theater an der Wien gegeben hatte. 1866 ging sie ans Thaliatheater in Hamburg und war später am Carl-Theater in Wien. Ihr späterer Ehemann war der ebenfalls am Actien-Volks-Theater tätige Sänger und Schriftsteller Karl Ueberhorst. Dieser hatte nacheinander Engagements in Chemnitz, Rostock, Königsberg, Bremen, Wiesbaden, Detmold, Stettin, Neustrelitz, Würzburg, Düsseldorf und Kiel. Ab 1872 war er am Stadttheater Nürnberg und ab 1881 am Hoftheater Dresden.

 

Dem Theaterzettel kann man auch die Preise entnehmen: Ein Sperrsitz im Parquet kostete 36 kr, eine Karte im Parterre 24 kr. Wesentlich teurer war der erste Rang. Dort kostete ein Platz in einer mittleren Loge und ein Vorderplatz in einer Seitenlogen Rang 1 fl. 12 kr. und ein Rückplatz in einer Seitenloge 1 fl. Im zweiten Rang kostete ein Platz in einer mittleren Loge und ein Vorderplatz in einer Seitenloge 54 kr. Im dritten Rang kostete ein Platz in einer mittleren Loge und ein Vorderplatz in einer seitlichen Loge 42 kr. und ein Rückplatz in einer seitlichen Loge 30 kr. Die billigsten Plätze waren ganz oben: Ein Galerieplatz kostete 12 kr. Bei den ersten Vorstellungen wurden die Proszeniumslogen nicht erwähnt. Später konnte man diese für 15 fl. verkauft, wobei dies der Preis für eine komplette Loge war. Man erkennt darin die Hierarchie der Plätze bzw. das mit bestimmten Plätzen verbundene Prestige. Als Volkstheater richtete sich das Theater zwar an einfache Schichten, aber natürlich waren zahlungskräftige Besucher gerne gesehen und für diese waren die Logen gedacht. Mit dem höchsten Prestige waren damals die Proszeniumslogen belegt. Auch die Logen im ersten Rang waren angesehene Plätze und deshalb teurer als die Parkettplätze.


Das Staatstheater am Gärtnerplatz
Foto: Klaus J. Loderer

Ein volkstümliches Programm

Für den nächsten Tag war eine Wiederholung des Eröffnungsabends geplant. Allerdings erkrankte Kapellmeister Konradin. Deshalb fielen die musikalischen Teile mit dem Offenbach-Stück aus. Als Ersatz wurde das Genrebild „Ein Wort an den Minister“ von Anton Langer gespielt. So erfolgte es auch am 6. November. Am 7. November hatte dann „Die Dame in Schwarz“ von Rauen Premiere. Am 8. November folgte ein Abend mit drei kleinen Stücken: das einaktige Lustspiel „Vom Wiener Juristentage“ von Anton Langer, die Posse „Nachtigall & Nichte“ von Rudolph Hahn und der Schwank mit Gesang „Bädeker’s Reise-Handbuch“ von H. Belly mit Musik von Conradin. Am 9. November war die Premiere von „Montjoye, der Mann aus Eisen“, ein Lebensbild in fünf Aufzügen des französischen Schriftstellers Octave Feuillet, übersetzt von A. Bahn. Am 10. November folgte „Ein fahrender Musikant“, ein Volksstück mit Gesang in fünf Akten von Rudolph Kneisel mit Musik von Ferdinand Gumbert. Von diesem Komponisten stammte eines der am Eröffnungsabend gespielten Lieder. Er war als Bariton-Sänger an den Theatern in Sondershausen und Köln und wurde später als Liedkomponist bekannt. Populär soll sein Lied „O bitt euch, liebe Vögelein“ gewesen sein.

 

Am 11. November wurden im Actien-Volkstheater „Was wir wollen“ und „Ein Wort an den Minister“ wiederholt aber ohne das Ballett. Am 13. November kam „Was wir wollen“ zusammen mit der Premiere von „Das Schwert des Damokles“, einem Schwank von Gustav Gans zu Putlitz. Dieser Gutsbesitzer und Dichter war auch als Theaterintendant bekannt, so von 1863 bis 1867 am großherzoglichen Hoftheaters in Schwerin und 1873 bis 1889 am großherzoglichen Hoftheater in Karlsruhe. Sein Sohn war übrigens Joachim Gans zu Putlitz, dem Generalintendanten des königlichen Hoftheaters in Stuttgart zu Anfang des 20. Jahrhundert.

 

Theaterdirektor Friedrich Engelken, der als Schauspieler an zahlreichen deutschen Bühnen war und u.a. Theater in Bremen, Augsburg, Zürich, Basel und Ulm geleitet hatte, sorgte für ein abwechslungsreiches Programm, das sich von dem des königlichen Hof- und Nationaltheaters deutlich unterschied. Das Programm blieb volkstümlich mit einem Schwerpunkt auf komischen Stücken. So hatte am 3. April 1866 das vaterländische Volks-Lustspiel „Münchner Kindeln“ von Herman Schmid, der das Eröffnungsfestspiel verfasst hatte, Premiere. Von ihm lief auch ab dem 6. Februar 1866 mit Erfolg das Volksstück „Der Tatzelwurm“, zu dem wieder Georg Krempelsetzer die Musik komponierte. Zu anderen Possen mit Gesang und Musik komponierte Kapellmeister Conradin die Musik. Unter den Stücken findet man „Judas im Frack“, ein Original-Charakter-Gemälde mit Gesang und Tanz von Anton Langer mit Musik von Franz von Suppé. Man spielte auch Pius Alexander Wolfs Schauspiel „Preziosa“ mit der Musik Carl Maria von Webers. Allerdings war es damals sowieso üblich, Schauspiele mit Orchestermusik zu begleiten und mit Gesangseinlagen zu versehen. Natürlich durfte in einem Volkstheater Nestroy nicht fehlen. Von ihm lief „Der böse Geist Lumpaci-Vagabundus“ von Nestroy mit Musik von Adolph Müller. Klara Ziegler spielte darin die Fortuna, Karl Ueberhorst die Titelpartie.

Und wieder Offenbach

Das Theater spielte auch mehrere Operetten Jacques Offenbachs. Am 15. Februar 1866 platzte allerdings die Premiere von „Fortunio’s Liebeslied“ mit Karl Ueberhorst als Fortunio und Minna Wagner als Paul Friquet. „Orpheus in der Unterwelt“, hier als burleske Operette bezeichnet, wurde ab dem 26. März 1866 außer Abonnement und zu erhöhten Preisen mit viel Erfolg gespielt. Man warb mit dem Bühnenbild des heute noch durch seine Wagner-Bühnenbilder bekannten Christian Jank und den Kostümen von Krasser. In der Besetzungsliste findet man Karl Ueberhorst als Pluto und Minna Wagner als Eurydice.

 

Allerdings war das Actien-Volkstheater finanziell nicht wirklich erfolgreich. Ende Oktober 1866 verließ Friedrich Engelken das Theater. Neuer Direktor wurde der Schriftsteller Hermann Schmid (ab 1876 Hermann von Schmid). 1868 war das Theater bankrott. 1870 fand die Zwangsversteigerung statt, bei der Georg Michael Hemmeter den Zuschlag erhielt. Der erste Direktor, Friedrich Engelken, erwarb das Theater. Diesem kaufte es der Baumeister Franz Michael Reiffenstuel ab. Doch fungierte dieser wohl nur als Strohmann für König Ludwig II. Somit war das Theater nun in königlichem Besitz. Direktor wurde übrigens wieder Hermann Schmid. 1937 verkaufte es der Wittelsbacher Ausgleichsfonds an den Staat.

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