Backnanger Theatergeschichte: Gastspiel von Wilhelm Clement und Hans Wilhelmy 1895

... auch durch gute Einnahmen die klingende Anerkennung findet ...“ 

– Das Gastspiel des Süddeutschen Stadttheater-Gastspiel-Ensembles brachte 1895 neue Theaterstücke nach Backnang – 

von Klaus J. Loderer


Während die Geschichte der Hoftheater gut, die der Stadttheater schon weniger gut und die privater Theater fast gar nicht dokumentiert ist, sind die zahlreichen Tourneetheatergesellschaften fast völlig vergessen. Man mag, wie das schon früher der Fall war, naserümpfend und verächtlich auf die reisenden Theatergruppen herabsehen, allerdings trugen auch sie mit bescheidenen Mitteln zum kulturellen Leben oder zumindest zur Unterhaltung bei. In den Zeiten vor Internet, Fernsehen und Radio war es für die Bevölkerung außerhalb der größeren Städte mit festen Theatern kaum möglich, Zugang zu Theater- oder gar Opernvorstellungen zu finden. Und hier kamen die reisenden Theatergruppen ins Spiel. Diese hatten es aber nicht einfach. Zumal die Obrigkeit teilweise recht restriktiv vorging.


In die süddeutsche Kleinstadt Backnang, einer Oberamtsstadt im Königreich Württemberg zwischen Stuttgart und Schwäbisch Hall gelegen, die im späten 19. Jahrhundert wirtschaftlich vor allem durch die Lederindustrie geprägt war, kam im August 1895 das Süddeutsches Stadttheater-Gastspiel-Ensemble. Da die meisten Theatergruppen üblicherweise nach dem Theaterdirektor benannt waren, fällt dieser Name auf. Man wähnt dahinter einen höheren Grad an Professionalität. Die Leitung hatten Wilhelm Clement und Hans Wilhelmy. 

Hans Wilhelmy

Während zu Wilhelm Clement nichts bekannt ist, gibt es zu Hans Wilhelmy einige Hinweise. Der Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor Hans (oder Hanns) Wilhelmy wurde etwa 1873 geboren. Als erster Liebhaber war er im Ensemble von Heinrich Emil Steffens im Theater Salzwedel, Calbe a.d.S., Peine und Staßfurt (Neuer Theater-Almanach 1896, S. 483). Um 1900 spielte er am Stadttheater Hamm (Neuer Theater-Almanach 1900, S. 381). Um 1905 war er am Residenztheater in Wiesbaden (Neuer Theater-Almanach 1905, S. 615). Wilhelmy war Direktor des am 2. Mai 1908 eröffneten Volkstheaters (Bürgerliches Schauspielhaus) in Wiesbaden, an dem er auch als Schauspieler auftrat (Neuer Theater-Almanach 1909, S. 670f). Unter den Schauspielerinnen findet man eine Ella Wilhelmy – vermutlich seine Frau – und unter den Kinderrollen einen Rudi Wilhelmy – vermutlich der Sohn. Hans Wilhelmy war damals auch Direktor des kgl. Kurtheaters in Schlangenbad und des Mittelrheinischen Verbandstheaters. Im Winter 1909/1910 war er in Camenz. Um 1920 leitete er im Sommer das Kurtheater in Bad Lauterberg am Harz (Deutsches Bühnenjahrbuch 1920). Das Deutsche Bühnenjahrbuch von 1943 vermerkt seinen Tod: Hans Wilhelmy starb am 14. Mai 1942 während einer Wehrmachtstournee im Alter von 69 Jahren.


Wie lange das Süddeutsche Stadttheater-Gastspiel-Ensemble existierte, ist nicht bekannt. Der Neue Theater-Almanach von 1895 nennt Wilhelm Clement bei den reisenden Gesellschaften unter Württemberg im Bereich Ravensburg und Leutkirch.


Veranstaltungshinweis im Murrthal-Boten 1895

Das Café Härlin in Backnang

Das Süddeutsche Stadttheater-Gastspiel-Ensemble trat in Backnang im Saal des Café Härlin auf. Dabei handelt sich um ein Vorgängergebäude des Backnanger Bürgerhauses. Dessen Kern bildet das 1901 von der Witwe Bertha Härlin eröffnete Bahnhofhotel mit einem Theatersaal, der heute als Foyer genutzt wird. Da das erwähnte Gastspiel aber schon 1895 stattfand, kann dieser Saal nicht gemeint sein. Davor betrieb Bertha Härlin an dieser Stelle eine Gaststätte mit Gartenwirtschaft und Kegelbahn, die als Café Härlin bekannt war. Dieses Gebäude hatte die Wirtswitwe Rosine Mayer 1884 errichten lassen nach dem Brand eines weiteren Vorgängergebäudes. Dieser Saal war wohl recht bescheiden. Aber er scheint regelmäßig für Theateraufführungen genutzt worden zu sein.

Das Theatergastspiel in Backnang

Das Gastspiel des Das Süddeutschen Stadttheater-Gastspiel-Ensembles in Backnang eröffnete eine Aufführung der Posse mit Gesang „Das Mädel ohne Geld“. Am 12. August 1895 konnte man in der örtlichen Tageszeitung, dem Murrthal-Boten, lesen: „Das Stadtheater-Gastspiel-Ensemble unter der Leitung der Herren W. Clement und H. Wilhelmy eröffnete gestern im Saale des Cafe Härlin seine Vorstellungen mit der Gesangsposse „Das Mädel ohne Geld“. Der gute Ruf, welcher der Gesellschaft vorangeht, hat sich bereits gestern auf das glänzendste bewährt. Besonders gut aufgeführt wurde der musikalische und gesangliche Teil des Stückes. Wir sehen den weiteren Leistungen der Gesellschaft mit großer Spannung entgegen und können nicht umhin, am Schlusse unserer kurzen Besprechung auf das am Dienstag zur Aufführung gelangende Schauspiel „Heimat“ von Sudermann hinzuweisen und den Besuch dieses sensationellen Familiendramas den hiesigen Theaterfreunden auf das Wärmste zu empfehlen.“ Was wie eine Theaterkritik wirkte, war allerdings kein redaktioneller Text sondern eine Selbstdarstellung der Theaterleute, in der es vor allem um die Werbung für die nächste Vorstellung ging.

Aktuelles Theater – „Heimat“ von Hermann Sudermann

Die zweite Vorstellung am 13. August war mit „Heimat“ ein damals aktuelles Schauspiel von Hermann Sudermann, das am 7. Januar 1893 am Lessingtheater in Berlin uraufgeführt worden war. Dieses Stück lief nach „Die Ehre“ und „Sodoms Ende“ mit viel Erfolg an zahlreichen Theatern in Deutschland und wurde international durch Schauspielerinnen wie Sarah Bernhardt und Eleonora Duse bekannt. Es geht darin um eine junge Frau, die von ihrem Vater verstoßen wird, weil sie nicht den Pfarrer heiraten möchte, den ihr Vater als Ehemann für sie ausgesucht hat. Später kehrt sie als berühmte Opernsängerin in ihre Heimatstadt zurück. Dort trifft sie den Vater ihres unehelichen Kindes wieder, den sie nun auf Druck des Vaters heiraten soll. Als dieser aber verlangt, dass sie sich von ihrem Kind trennen muss, weigert sie sich. Ihr Vater droht sie zu erschießen, nachdem sie ihm offenbart hat, dass sie nicht nach seinen moralischen Vorstellungen lebt, er stirbt aber an einem Schlaganfall. Soweit die kurz gefasste Handlung von „Heimat“. Hermann Sudermann (1857-1928), der in diesem Stelle die Bigotterie anprangerte, war neben Gerhart Hauptmann ein wichtiger Vertreter des Naturalismus. Ob die Gastspieltruppe Sudermanns Schauspiel in voller Besetzung aufgeführt hat, sei einmal dahingestellt – es erfordert immerhin sechs Schauspieler, sechs Schauspielerinnen und zwei Kinder.


Am Donnerstag, den 15. August gab es „Der Trompeter von Säckingen, ein Singspiel in 8 Bildern nach Viktor von Scheffels Rheinlandgesang und Neßlers gleichnamiger Oper“. Es dürfte sich also um eine vereinfachende Bearbeitung der 1884 in Leipzig uraufgeführten Oper des Komponisten Victor Ernst Nessler und einem Libretto von Rudolf Bunge gehandelt haben, die im 19. Jahrhundert sehr populär war. Es stand kein Orchester zur Verfügung – das wäre in der Ankündigung sicher erwähnt worden – insofern kann das Stück höchstens von einem Klavier oder einem anderen Instrument begleitet worden sein. Im nach dem Dreißigjährigen Krieg spielenden Stück geht es um den Trompeter Werner, der ein adeliges Mädchen liebt. Als er zum Helden wird und seine adelige Herkunft herauskommt, gibt es ein Happy End.


In der Zeitungsausgabe vom 16. August schoben die Theaterdirektoren im Murrthal-Boten eine weitere „Besprechung“ nach: „Die Aufführungen von „Heimat“ und „Trompeter von Säckingen“ haben unser günstiges Urteil, welches wir nach der ersten Vorstellung fällten, voll und ganz bestätigt, und wir können heute mit gutem Gewissen konstatieren, daß bis jetzt noch keine Theater-Gesellschaft hier war, welche es an Leistungsfähigkeit auch nur annähernd mit der Clement-Wilhelmy’schen aufnehmen könnte. Auch machen die schönen Kostüme einen prächtigen Eindruck, und worauf noch nie hier Wert gelegt wurde – das Herrichten und Ausschmücken der Bühne – läßt sich die Direktion sehr angelegen sein. In Folge des überaus guten Gesamteindruckes wird der Gesellschaft auch eine außergewöhnliche Beachtung von seiten unserer kunstliebenden Bevölkerung zu Teil, was sich in dem von Tag zu Tag zunehmenden Besuche zeigt. Möge das Interesse nicht erlahmen, sondern sich immer mehr steigern, damit die Direktion in ihrem Bestreben, ausnahmslos Gutes zu bieten, auch durch gute Einnahmen die klingende Anerkennung findet, welche mit der künstlerischen jedoch Hand in Hand gehen muß, um ein erfreuliches Resultat zustande zu bringen.“ Man wäre heute neugierig, wie das „Herrichten und Ausschmücken der Bühne“ und die „schönen Kostüme“ wohl ausgesehen haben mögen. Allzu groß hat der Bühnenaufwand nicht gewesen sein, denn das hätte die technischen Möglichkeiten überfordert. Rührend ist der Hinweis, dass die Theaterleute auch Geld verdienen möchten.


Am 16. August stand „Mein Leopold“ auf dem Spielplan. Dabei handelt es sich um Volksstück mit Gesang in drei Bildern von Adolph l’Arronge (1838-1908) aus dem Jahr 1876. L’Arronge war ein damals populärer Bühnenautor und Betreiber des Deutschen Theaters in Berlin. Eine Kindervorstellung gab es mit „Adam & Eva“ am Sonntagnachmittag.

„Die Ehre“ von Hermann Sudermann

Ein weiteres Stück von Hermann Sudermann stand am Montag, den 19. August auf dem Programm. Mit seinem 1889 am Berliner Lessingtheater uraufgeführten Erstlingsstück „Die Ehre“ war Sudermann auf einen Schlag bekannt geworden. Sudermann stellt darin ein Berliner Mietshaus mit Vorderhaus und Hinterhaus vor und die unterschiedlichen Ehrbegriffe von Bürgertum und Arbeiterschaft. Es geht um den Kommerzienrat Mühlingk, der mit 40000 Mark die Arbeiterfamilie Heinecke abfinden möchte, in deren Tochter sein Sohn verliebt ist. Das Stück scheint in Backnang gut angekommen zu sein, denn es wurde am Freitag, den 23. August wiederholt.


Am Sonntag, den 25. August gab es nachmittags um 16 Uhr eine große Volks- und Kindervorstellung. Aufgeführt wurde „Die heilige Ida von Toggenburg oder Schuld und Sühne“, ein Schauspiel in fünf Akten von Ch. v. Schmid. Das Stück basiert auf einer mit dem Kloster Fischingen im Kanton Thurgau verbundenen Legende um eine Tochter des Grafen von Kirchberg, deren Ehering von einem Raben gestohlen wurde und die deshalb von ihrem Ehemann, dem Grafen von Toggenburg, des Ehebruchs bezichtigt wurde. In der Abendvorstellung ging es um ein schwäbisches Thema. Um 20.15 Uhr kam das vaterländische Schauspiel „Schloß Lichtenstein oder Schwäbische Frauenehre“ – vermutlich eine Adaption von Wilhelm Hauffs Roman „Lichtenstein“.


Das Backnanger Publikum konnte bei diesem Gastspiel also mit Sudermann-Stiftung „Die Ehre“ und „Heimat“ zwei aktuelle Theaterstücke sehen, die in Berlin als Sozialstücke mit großem Erfolg liefen. Gerahmt wurden sie mit eher unterhaltenden Stücken, die zum Teil inhaltlich einen süddeutschen Bezug hatten.

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