Opernkritik: Richard Wagners „Lohengrin“ im Fantasy-Land – Staatstheater Nürnberg – 2019
Pagenschnitt versus Hörnerhelm
– Richard Wagners romantische Oper „Lohengrin“ zeigt am Staatstheater Nürnberg einen archaischen Kampf zwischen Götterglauben und Christentum –
von Klaus J. Loderer
Den Hintergrund, den Wagner in seiner romantischen Oper „Lohengrin“ nur andeutet, weitet Regisseur David Hermann in seiner Inszenierung in Nürnberg zu einem mythologischen Rahmen aus. So führt er zwei weitere Figuren ein, Wotan und Parzival. Wotan, mit nacktem Oberkörper, Helm und blonden Zöpfen, steht für den alten Glauben an die Götter. Er wird hier nicht nur wie sonst heimlich von Ortrud verehrt sondern ist die Religion in diesem archaischen Herzogtum Brabant. Wir sehen das in der Optik von Fantasy-Filmen wie „Conan“. Das Christentum bringen in der Inszenierung König (mit schönem Bass Nicolai Karnolsky) und Heerrufer (der koreanische Bassbariton Daeho Kim mit klarer Stimme) als neuen Glauben ins Land. Eine neue Religion wird den Antwerpenern von diesem König aufgezwängt. Eine goldene Taube hält der Heerrufer ihnen an langem Stab zur Verehrung vor. Violette Schals werden verteilt – und übrigens am Ende des ersten Akts auch gleich wieder entsorgt. Sonderlich überzeugt sind diese Antwerpener nicht von der religiösen Beglückung. Trotz des Motivs der Taube und der Kirchenfarbe Violett hält sich die Inszenierung mit christlicher Symbolik zurück. Dafür verdeutlicht Regisseur David Hermann aber mehr als sonst den Gegensatz zwischen der neuen Religion und der alten. Dramaturg Georg Holzer erläutert im Programmheft, dass er nicht an einen Sieg des Christentums in der Oper glaubt. So ist in Nürnberg am Ende eben doch nicht Gottfried der neue Herzog. Vielmehr besteigt Telramund wieder den Thron, den er schon zu Beginn innehatte.
„Lohengrin“ im Staatstheater Nürnberg: Daeho Kim (Heerrufer des Königs) und Ensemble
Foto: Bettina Stoess
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Den räumlichen Rahmen der Inszenierung bildet ein System von in Reihen hängenden Stangen vor dunklem Hintergrund, mit denen Bühnenbildner Jo Schramm unterschiedliche Räume andeutet. So kann er den Raum zu einem Schlitz verengen oder weiten oder gar damit eine Kirche andeuten oder werden zu Schwingen eines Schwans. Schräg stehende Stangen scheinen die archaische Zeit der Unordnung anzudeuten, in die die Ankunft des Königs Ordnung bringt.
Mit einem Querverweis auf Wagners „Parsifal“ lässt David Hermann die Oper beginnen. Ein kreisrunder Tisch kommt aus dem Bühnenfußboden hervor. Rotgewandete Männer mit violetten Kaputzen umstehen ihn. Das könnten aber auch Astronauten aus einem Science-Fiction-Film in einem Raumschiff sein. Eine weißgekleidete Frau taucht im Zentrum auf. Ist es Elsa, die um Beistand bittet? Ein Lichteffekt wirkt wie eine Taube und der Wagnerkenner fühlt sich natürlich an die Gralsszene in Parsifal erinnert. Der Regisseur zeigt uns so die Vorgeschichte, wie Parsifal seinen Sohn Lohengrin aussendet.
„Lohengrin“ im Staatstheater Nürnberg: Johannes Lang (Wotan), Sangmin Lee (Friedrich von Telramund), Eric Laporte (Lohengrin), Jochen Kuhl (Parzifal)
Foto: Bettina Stoess
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Mit dem Einsetzen der eigentlichen Opernhandlung in Antwerpen werden wir in eine archaisch-wilde Zeit versetzt. Kostümbildnerin Katharina Tasch hat für dieses Fantasie-Germanien Kostüme entworfen mit Fellumhängen und behörnten Helmen. Häuptling Telramund (ein stimmgewaltiger Sangmin Lee) lümmelt sich auf seinem tragbaren Thron. Von diesen „Friesen“ unterscheiden sich die Soldaten des Königs mit ihren Bubiköpfen, pseudomittelalterlichen Mänteln und Helmen. Elsa (Emily Newton mit recht dramatischem Gesang) wird in einem riesigen, martialisch aussehenden Holzwagen hereingefahren, der mehr Gefängniszelle als Wagen ist. Eric Laporte trumpft als Tenor nicht auf sondern singt einen Lohengrin der zarten und doch strahlenden Töne. Parzival kommt als Beschützer seines Sohns Lohengrin gleich mit. Symbolträchtig streiten Wotan (Johannes Lang) und Parzifal (Jochen Kuhl) im Zweikampf zwischen Lohengrin und Telramund. Als Lohengrin dem besiegten Telramund den Todesstoß geben will, ist es Parzifal, der ihn zurückhält.
Im zweiten Akt sieht man für Ortruds Beschwörung der alten Götter einen verkrüppelten, uralten Baum, kahl und ohne Blätter. Der neue Stamm grünt eben noch nicht in Brabant. Otrud (mit hochdramatischem und durchsetzungsfähigem Mezzosopran Martina Dike), gleich selbst mit dem Frickasymbol Widderhörnern bekrönt, bringt eine Dienerin (Franziska Kern) als Medium mit, das ihr den Kontakt zu den Göttern vermitteln soll. Zusammen entfalten sie eine dramatische Götterbeschwörung. Da darf auch der Rabe nicht fehlen. Der Wagnerkenner weiß, der Rabe ist der Vogel Wotans. Diese dramatische Darstellung holt diese Szene endlich einmal aus ihrer Beiläufigkeit heraus und zeigt auch, worum des da geht.
„Lohengrin“ im Staatstheater Nürnberg:
Emily Newton (Elsa von Brabant), Martina Dike (Ortrud) und Ensemble
Foto: Bettina Stoess
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Diese Ortrud ist mit genügend Selbstbewusstsein für die anstehende Hochzeit von Elsa und Lohengrin gerüstet. Hier stellt sie sich nicht einfach Elsa in den Weg, nein der ganze Hochzeitszug droht zum Desaster zu werden. Schon den als Rauschgoldengerln herumflirrenden Edelknaben, die einen so schön kitschigen Auftritt haben sollten, ergeht es übel. Ein böser Rabe reißt ihm ein Flügelchen aus. Elsa und Otrud prügeln sich regelrecht auf der Bühne und ebenso der weibliche Anhang. Also Action auf der Bühne. Als Symbol für das Münster hängen von oben Orgelpfeifen herab.
Der dritte Akt beginnt mit einem weiteren Zitat aus einer anderen Wagner-Oper. Das Hochzeitsfest begeht auch Wotan zünftig. Da liegt eine am Spieß gebratene Sau auf dem Tisch und Wotan lässt sich mit Met zulaufen, bis er unter den Tisch kippen. Die Wunschmaiden mit Flügelhelmen sind auch dabei.
Für die Brautgemachszene machen wir einen Zeitsprung in die Gegenwart. Lohengrin in modernem Goldhemd und Elsa in weißem Brautkleid haben aber trotzdem nur eine auf- statt erregende Hochzeitsnacht. Kein Wunder, dass Lohengrin gehemmt ist, schleicht doch Papa Parzifal um das Bett herum. Am Ende hilft Lohengrin auch der Beistand seines Vaters nichts, der muss resigniert Wotan das Feld überlessen. Den auf einem Karren hereingefahrene toten Telramund macht ausgerechnet Parzifal wieder auf und lässt ihn wieder seinen Thron besteigen. Die Sache mit dem Christentum hat sich dann auch erledigt.
Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz leitet die Staatsphilharmonie Nürnberg mit gehörigem Schwung und Elan. Zart lässt sie die Streicher zu Beginn erklingen. Spannungsreich arbeitet sie das Wechselspiel der Blechbläser in den Orchesterüberleitungen heraus. Tarmo Vaask hat Chor und Extrachor des Staatstheaters Nürnberg gut und exakt einstudiert. In weiteren Rollen sind zu hören: als Edle Chool Seomun, Chang Liu, Hyunho Yoo und Alexander Alves de Paula und als Edelknaben Nayun lea Kim, Irène Lepetir-Mscisz, Katrin Heles und Nora Meyer.
Besuchte Vorstellung: 16. Juni 2019-08-06
(Premiere 12. Mai 2019)
Opernhaus Nürnberg
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