Premierenkritik: Jules Massenets Aschenputteloper „Cendrillon“ – Theater Ulm – 2019
Aschenputtel in der Latzhose
– Jules Massenets „Cendrillon“ im Theater Ulm in einer quietschbunten Inszenierung –
von Klaus J. Loderer
Was bedeutet es, wenn Aschenputtel als Automechaniker eine Latzhose trägt und der Prinz einen Schirm in Regenbogenfarben hat? Das kann nur bedeuten, dass der Prinz deswegen die ganzen Prinzessinnen verschmäht, weil er schwul ist. Skandal! Nein, nein, falscher Alarm. Völlig falsche Schiene. So weit wollte Regisseur Christian von Götz in seiner Inszeneriung von Jules Massenets Oper „Cendrillon“ am Theater Ulm nicht gehen. In einem Interview im Programmheft, kann man nachlesen, dass es ihm um eine Travestierung der Rollenklischees und Spiel mit Geschlechterrollen gehe, weil er den Stoff für ziemlich frauenfeindlich halte und er das veraltete Geschlechterbild im Kern des Märchens ablehne. Als starke Frau läuft Centrillon in der Latzhose herum und bekommt für den Ball von der Fee einen Glitzerfrack. Da die Fee auch im Frack herumläuft, wähnte ich ja schon eine lesbische Geschichte sich anbahnen, aber nein, auch das nicht. Und so kommt es, dass Kostümbildner Lukas Noll alle Personen auf der Bühne mit fantasievollen, zum Teil auch aberwitzig lustig überzogenen Kostümen ausstattet, indem er von der Halskrause bis zum Charlestonkleid in einer schrillen Tour-de-force quer durch die Kostümgeschichte jagt – und er hätte sicher ein wunderbares Ballkleid für Cenrillon entworfen, aber er durfte wohl nicht. Dabei beweist doch die Stiefmutter in der Oper sehr eindrücklich, dass man auch im eleganten Kleid eine starke Frau sein kann.
„Cendrillon“ am Ulmer Theater
Foto: Martin Kaufhold
|
Die Inszenierung ist quietschbunt. Der Regisseur will den ironisch-buffonesken Kern der Figuren freilegen, wie man im Interview erfährt. Das gelingt ihm mit Stiefmutter und Stiefschwestern ebenso wie mit den überzogenen Hofschranzen, die in grotesk überzeichneten Gesten ein geradezu aberwitziges Hofzeremoniell veranstalten. Entsprechend ist die Inszenierung auch nicht realistisch angelegt, sondern auf einer zweiten Ebene. Dazu hat Bühnenbildnerin Petra Mollérus eine Bretterbühne auf die Bühne gebaut, deren Tiefe durch das Auf- und Zuziehen von Vorhängen veränderbar ist. Die Grundidee erfahren wir zu Beginn vor Einsetzen der Musik. „Träum es nicht, tu es“ tönt es in allen möglichen Sprachen, wenn sich alle Beteiligten in ihren Kostümen in der vollen Breite der Bühne wie zum Gruppenbild aufreihen. Am Schluss formieren sie sich wieder zum Anfangsbild. So schließt sich die Geschichte. Es war nur ein Spiel auf dem Theater.
Ein interessantes Spiel von Exaltiertheit und Introvertiertheit baut Regisseur Christian von Götz auf. Cendrillon versteckt sich mit ihrem Vater unter dem Bretterboden. Liebevoll hängen sie an der Urne der Mutter. Auch der Prinz ist ein ziemlich introvertiertes Wesen, das kiffend in einer Holzkiste sitzt „fragile“ steht darauf. Zerbrechlich fühlt er sich fürwahr, ebenso wie Cendrillon, die zaghafte Annäherungsversuche wagt. Sie steigt irgendwann im wörtlichen Sinne zu ihm in die Kiste. Richtig romantisch darf das Publikum schwelgen, wenn Cendrillon und der Prince Charmant vor dem Sternenhimmel schaukeln.
Wenn schon Märchen, dann richtig. Statt mit einer gläsernen Kutsche geht diese Cendrillon mit einem Einhorn zum Ball. Eigentlich ist es ein Pferd. Nein, kein echtes Pferd, ein von zwei Statisten bedientes Pferd, das für die Inszenierung zum Einhorn umgebaut wurde und immer wieder die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zieht, besonders als sich das Horn in einer Tür des Zuschauerraums verfängt.
„Cendrillon“ am Ulmer Theater:
Luke Sinclair (Le prince charmant), I Chiao Shih (Cendrillon) und der Chor
Foto: Martin Kaufhold
|
I Chiao Shih kann mit strahlend hellem Sopran als Cendrillon glänzen. Ihre Stimme verstrahlt die Mädchenhaftigkeit einer leichten Stimme. Sehnsucht legt sie in ihre erste Arie. Luke Sinclair ist ein sentimentaler Prinz mit angenehmem Tenor (aber leichten Unsicherheiten in der Höhe). Maryna Zubko bringt als Fee glockenklare Koloraturen zu Gehör. Leicht fließen ihre Töne dahin, sind geschmeidig und verführerisch. Biestig gibt sich Christianne Bélanger als tyrannische Stiefmutter Madame de la Haltière und singt mit charaktervollem Mezzosopran. Maria Rosendorfsky und Jungyoun Kim zicken wunderbar als ihre eitlen Töchter Noémie und Dorothée herum und liefern sich auch gesanglich einen erfrischenden Wettstreit. Dae-Hee Shin ist der zurückhaltende Vater Pandolfe, ein geschmeidiger und warmtönender Bariton. Takao Aoyagi, Milcho Borovinov und J. Emanuel Pichler liefern sich mit König Erik Rousi eine witzige Szene.
Den geschmeidigen französischen Ton fängt Michael Weiger mit dem Philharmonischen Orchester der Stadt Ulm gut ein. Melodisch fließt die Musik dahin und akzentuiert elegant. Mit feinem Gespür arbeitet er die Anklänge an die Musik des 18. Jahrhunderts heraus. Henrik Haas hat Chor und Extrachor des Theaters Ulm gut einstudiert. Zudem unterstützt der Chor spielfreudig die Produktion.
Besuchte Vorstellung: Premiere am 19. Dezember 2019
Theater Ulm
Kommentare
Kommentar veröffentlichen