Operettenrarität: Jacques Offenbachs „Die Prinzessin von Trapezunt“ – Theater Hildesheim 2019

Als man in der Lotterie ein Schloss gewinnen konnte 

– Gastspiel des Theaters für Niedersachsen Hildesheim mit Offenbachs Opéra-bouffe „Die Prinzessin von Trapezunt“ (La princesse de Trébizonde) in Itzehoe – Regiedebüt von Max Hopp – 

von Klaus J. Loderer

Das Theater für Niedersachsen bespielt nicht nur sein Theater in Hildesheim. Es gibt auch Gastspiele. Ende März fährt man mit einer Musikproduktion für eine Vorstellung an einem Sonntag nach Itzehoe. Diese Stadt in Schleswig-Holstein besitzt ein ungewöhnliches modernes Theatergebäude des Architekten Gottfried Böhm. Warum also nicht nach Itzehoe fahren, um „Die Prinzessin von Trapezunt“ anzuschauen.

Es ist schon eine absurd-nette Geschichte. Ein Prinz verliebt sich in die Prinzessin von Trapezunt. Diese ist allerdings keine Prinzessin sondern eine Figur in einem Wachsfigurenkabinett. Und die vermeintliche Wachsfigur ist auch keine, da Zanetta der Figur beim Abstauben die Nase abgebrochen hat und sich nun als solche verkleidet hat. Diese Verliebtheit hätte nun auch keine Folgen gehabt, hätte der Prinz den Eintritt in das Wachsfigurenkabinett nicht mit einem Lotterielos bezahlt (damals hatten Prinzen nie Bargeld bei sich), das sich kurze Zeit später als Hauptgewinn entpuppt. Der Hauptgewinn ist ein Schloss und das bezieht Schausteller Cabriolo nun mit seiner Familie. Dieses Schloss liegt neben dem Schloss dieses Fürsten und so kommt es, dass der Prinz Zanetta wiederfindet. Damit Papa aber nichts merkt, muss Zanetta wieder Wachsfigur spielen und der Fürst kauft für seinen vermeintlich überspannten Sohn das Wachsfigurenkabinett. Bis der Prinz im Wachsfigurenkabinett erwischt wird...

Levente György (Cabriolo), Meike Hartmann (Zanetta), Neele Kramer (Regina), Katharina Schutza (Paola), Jan Rekeszus (Tremolini), vorne: Uwe Tobias Hieronimi (Fürst Kasimir)
Foto: Jochen Quast
Diese Geschichte haben Charles Nuitter und Etienne Tréfeu in ein Libretto gefasst. Dazu hat Jacques Offenbach eine gewohnt spritzige Musik geschrieben. Uraufgeführt wurde die Opéra-bouffe am 31. Juli 1869 in Baden-Baden. Im Dezember brachte Offenbach es in Paris an den Bouffes-Parisiens heraus. „La princesse de Trébizonde“ wurde erfolgreich in vielen Theatern gespielt, immerhin in Brüssel, London, Madrid, Kopenhagen, New York, Stockholm, Prag, Berlin, Neapel und Rio de Janeiro, geriet aber schließlich doch in Vergessenheit. Noch Karl Kraus äußerte sich begeistert über die Operette. Der Offenbach-Spezialist Jean Christophe Keck hat nun eine kritische Edition herausgebracht. Limoges und Baden-Baden war einige Aufführungsorte der letzten Jahre. Bei seinem Regiedebüt in Hildesheim hat Max Hopp die Textfassungen von Julius Hopp und Harald Kunz noch einmal überarbeitet. Adam Benzwi verschlankte das Orchester. Einige Rollen wie der Lotteriedirektor wurden wie der Chor ganz gestrichen. Hopp kürzte die Dialoge und führte zur Verdeutlichung der Handlung einen Erzähler oder Conférencier ein. Paul Hentze legte sich dafür einen bewusst antiquierten Sprachduktus zu.

Ensemble als Schatten, hinten: Paul Hentze (Conférencier/ Puppenspieler)
Foto: Jochen Quast
Ausstatterin Caroline Rössle-Harper hat eine Jahrmarktbude auf die Bühne gestellt, die sich als Theaterchen aufklappen lässt und die sich für den zweiten Akt in eine ziemlich graue Villa verwandelt. Waren die Kostüme im ersten Akt jahrmarktlich aufreizend in leuchtenden Farben, sind sie nun elegant und grau. Auf der Terrasse langweilt sich die Familie Cabriolo, im ersten Akt überdrehte Schausteller mit ganz unterschiedlichen Charaktern. Katharina Schutza heult als rassige Paola einem längst verflossenen Liebhaber nach. Ihren Bruder Cabriolo verkörpert Bassbariton Levente György, der seit 2011 im TfN-Ensemble ist. Mezzosopranistin Neele Kramer ist die resolute Seiltänzerin Regina, in die sich der schüchterne Clown Tremolini, dargestellt vom Sänger und Schauspieler Jan Rekeszus, der durch seine Darstellung in „Ludwig2“ in Füssen gerade als Musicaldarsteller bekannt wird, verliebt. Cabriolos Tochter Zanetta ist mit der begabten Sopranistin Meike Hartmann besetzt.

Bei der Jagd stolpert Fürst Kasimir arrogant vertrottelt herein – eine nette Slapstickstolperszene durch das Buchwerk des Parks. Der Hildesheimer Publikumsliebling Uwe Tobias Hieronimi darf sich als Fürst Kasimir wieder von seiner parodistischen Seite zeigen. Sparadrapp ist das ganze Stück über auf der Suche nach seinem Zögling Raphael. Schauspieler Dieter Wahlbuhl gibt diesen Erzieher tolpatisch. Ein schwärmerischer Blondschopf ist der Prinz Raphael des Tenors Julian Rohde.

Paul Hentze als Brocoli, Riccardo und Finochini
Foto: Jochen Quast
Paul Hentze hat als Hauptprofession das Puppenspiel. Die Umbaupause füllt er mit einer Offenbach-Puppe (die übrigens von Erik Raskopf, dem Gründungsdirektor des Museums der Augsburger Puppenkiste und jetzigen Chefdisponent des Staatstheaters Mainz, geschaffen wurde) und lässt diesen über die  Inschrift der Theaterfassade filosofieren – allerdings der Theaterfassade in Hildesheim. Ob das die Besucher beim Gastspiel in Itzehoe so ganz verstehen, sei mal dahingestellt. Und noch eine kleine Kritik: So schön Paul Hentze das macht, es ist einfach zu lang. Es kommt allerdings noch das bestet Kabinettstückchen des Abends: Paul Hentze spielt die drei Pagen, die die Wachsfiguren im fürstlichen Schloss bewachen sollen (in der Urfassung sind es sogar sechs Pagen in der Tonlage Sopran: Flaminio, Francesco, Brocoli, Riccardi, Finocchini und Borghetto). Es sind hier siamesische Drillinge: vier Beine, zwei Arme, drei Köpfe und drei ebenso dämliche wie vorlaute Mundwerke. Das Publikum biegt sich über diesen Trialog vor Lachen. 

Die Opéra-bouffe kumuliert in einer kuriosen Souper-Orgie des Prinzen. Inzwischen sind die Kostüme bunter geworden, höfisch geckisch eben. Drei Paare finden sich. Der Prinz bekommt seine Zanetta. Und der fürstliche Papa stimmt ein, weil er daran erinnert wird, dass auch er einst mit einem Zirkusmädchen liiert war. So überwindet die Operette gesellschaftliche Schranken. Ein Can-Can darf da nicht fehlen. Am Klavier und mit dem TfN-Orchester sorgt Adam Benzwi im Graben für munteres Operettenglück. So kommt es nicht von ungefähr, dass die Produktion von BR-Klassik mit dem Operetten-Frosch beehrt wurde. Und Hildesheim feiert mit einem zweifelsohne interessanten Beitrag den 200. Geburtstag von Jacques Offenbach.

Trapezunt gibt es übrigens wirklich. Heute kennt man die Stadt am Schwarzen Meer allerdings eher unter dem Namen Trabzon.

Besuchte Vorstellung: 24. März 2019
(Premiere 3. März 2019)
Gastspiel des Theaters für Niedersachen Hildesheim
Theater Itzehoe

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