Ausstellung: „Verstrichene Zeit – Elfolyó idő 1989-2019“ – 2019

Dreißig Jahre danach 

– Ausstellung „Verstrichene Zeit – Elfolyó idő 1989-2019“ im ungarischen Kulturinstitut in Stuttgart – 

von Klaus J. Loderer

Ein Bild von István Orosz, das ein Plakat der Wendezeit verarbeitete, auf dem man den Hinterkopf eines russischen Soldaten sieht mit der Überschrift „Tovarisi“ in kyrillischen Buchstaben. Der Künstler hat schräg darüberschrieben „Tschüss!“ erinnerte einige der Anwesenden bei der Eröffnung der Ausstellung „Verstrichene Zeit – Elfolyó idő 1989-2019“ im Ungarischen Kulturinstitut in Stuttgart an ihre eigene Vergangenheit. So schimmerte plötzlich die Zeit vor dreißig Jahren auf, als dieses Plakat in Budapest vielfach verbreitet wurde und eine Aufforderung an die Rote Armee sein sollte, das Land als Besatzungsmacht zu verlassen.

Ausstellung „Verstrichene Zeit – Elfolyó idő 1989-2019“ im ungarischen Kulturinstitut in Stuttgart
Fotos: Klaus J. Loderer
1989 wurde in Ungarn der Eiserne Vorhang geöffnet, der Europa so lange getrennt hatte. Der Ostblock ging unter. Viel änderte sich in Europa dadurch. Dreißig Jahre sind inzwischen vergangen. Zum dreißigsten Jahrestag veranstaltete das Museum moderner Kunst Wörlen in Passau in Zusammenarbeit mit dem ungarischen Generalkonsulat in München eine Ausstellung zur künstlerischen Reflektion der Grenzöffnung und dem Aufbau einer neuen Gesellschaft. Die ungarische Akademie der bildenden Künste (Magyar Müvészeti Akadémia) stellte dazu die Künstler, die einen Querschnitt durch die wichtigsten ungarischen Künstler der Gegenwart bilden.

Ganz unterschiedlich ist die Herangehensweise der Künstler. Bei einigen Arbeiten findet man auch Hinweise auf den ungarischen Aufstand 1956. Einige verarbeiten ganz direkt Themen der Grenzöffnung der Wendezeit. Dazu gehört István Orosz mit dem schon erwähnten Plakat. Péter Prutkay legt witzige Sammlungen mit Dingen des untergegangenen Kommunismus an. In kleinen Vitrinen entstehen so aberwitzige räumliche Kollagen, darunter eine mit einem halb verbrannten kommunistischen Manifest, mit kommunistischen Orden, mit Trabantmodellen. In der offiziellen sozialistischen Kunstszene fand der 1947 geborene Künstler keinen Platz aber er wurde immer wieder zu Ausstellung in Westeuropa eingeladen. Erbarmungslos rechnet der 1946 geborene József Árendás mit dem Kommunismus ab. Von ihm ist eine Trilogie von Plakaten ausgestellt: „Die Macht...“, „Der Genosse...“ und „Die rote Presse...“. Diese Motive sollen mit ihrem roten Bildgrund natürlich bewusst an kommunistische Propagandaplakate erinnern. Doch karikieren die Bildmotive das sozialistische System mit starker Ironie.

Menyhért Szabó: „Big Me“
Die markantesten Werke der Ausstellung sind sicherlich die riesigen Köpfe Menyhért Szabó. 1992 geboren, hat der Bildhauer die Wendezeit nicht persönlich miterlebt. Mit den durchnummerierten Kolossalköpfe „Big Me“ assoziiert man in ihrer Metalloptik (sie sind aber aus Gummi) schnell die Riesenporträts der kommunistischen Granden, besonders jenen Stalinkopf, der 1956 durch Budapest geschleift wurde und mehr und mehr die Form verlor. Auch die hier gezeigten Riesenköpfe wirken drangsaliert. Sie sind völlig verzerrt und zerknautscht. Die Köpfe sind ihrer normalen Form beraubt. Überhaupt sind die Skulpturen interessant. József Gaál zeigt fünf Köpfe seiner Reihe „Transhuman Fetish“ mit wild bandagierten Köpfen in völlig aberwitziger Persiflage einer völlig Fetischausstattung – Bondage extrem. Drei aufrecht stehende Figuren erinnern in ihrer Silhouette an Frauen mit fülligen Hinterteilen. Stark abstrahiert sind diese Figuren von Tamás Szabó mit dem Titel „Venus vom Berg“. In der Art der traditionellen Stock-im-Eisen-Figuren sind die Holzkerne über und über mit Nägeln beschlagen, wodurch eine eigentümliche Fell-Oberfläche entsteht.

Von gespenstischem Realismus sind die düsteren Bilder von Gábor Lajta. Bei „Rückweg 1“ entflieht ein junger Mann ins Gegenlicht. Hat er den die an der Betonwand liegenden Mann gerade umgebracht? Wir erkennen die Atmosphäre eines Bahngleises und eines vorbeifahrenden Zugs. Unendliche Schleifen zeigt das Skulpturenpaar von Miklós Szöcs. Zwei endlose Schleifen aus rotem Holz in Form von verknoteten Volltori sehen wir. Variationen eines Themas. Bei einer Schleife ist die Schlange kantig, bei einer rund – „Begriffsrahmen: Westen“ und „Begriffsrahmen: Osten“.

Ein Durcheinander von Drähten und Röhren, einen Metallschutthaufen, zeigt György Jovián in fotorealistischer Darstellung. Wie oft auf seinen Bildern so findet man auch in „Abriss XVIII.2009“ ein System roter Punkte, die in regelmäßigem Quadratraster über das Bild verteilt sind.

Den Sommer über war die Ausstellung im Museum moderner Kunst Wörlen zu sehen. Am 2. Oktober wurde als nächste Station die Ausstellung im ungarischen Kulturinstitut in Stuttgart eröffnet. Der Oboist Lajos Lencsés stimmte die Gäste musikalisch ein. Institutsdirektor Dezsö Szabó begrüßte die Gäste. Konsulin Dr. Rita Kovács vom ungarischen Generalkonsulat in Stuttgart und Dr. Gergely Tamás Kucsera, Generalsekretär der ungarischen Akademie der Künste sprachen kurze Grußworte. Márton Barabás gab eine kleine Übersicht zu den Kunstwerken.

Die Stationen der Ausstellung sind Passau, Stuttgart und Berlin. Die Ausstellung ist bis zum 16. Oktober 2019 im Ungarischen Kulturinstitut in Stuttgart, Haussmannstr. 22, zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

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