Opernkritik: Wagners „Rheingold“ – Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen – 2019
Endstation Walhall
– Pünktlich fährt der Rheingold-Express durch den Rhein – Michael Schulz liefert am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen eine interessante Inszenierung von Richard Wagners "Rheingold" –
von Klaus J. Loderer
Drei Männer sitzen in einem Zugspeisewagen. Ist es der legendäre Rheingold-Express? Das ist eine nette Assoziation in der Neuinszenierung von Wagners „Rheingold“ des Generalintendanten Michael Schulz. Ist es der Wein, der einen der Männer, der sich bald als Alberich herausstellt, glauben lässt, dass draußen Frauen vorbeschwimmen. Fährt der Zug gar auf dem Grund des Rheins? Wohin werden wir da entführt? Ebenso surreal sind die als Bardamen herumschwirrenden Rheintöchter. Renée Listerdal hat die Rheintöchter in tief dekoltierte glänzende Cocktailkleider gesteckt. Bele Kumberger, Lina Hoffmann und die eingesprungene Nohad Becker geben sich aufreizend als Woglinde, Wellgunde und Floßhilde und bilden musikalisch ein harmonisches Terzett. Einer entwendet Alberich (mit flexibler Stimme Urban Malmberg) schließlich den Nixenfischschwanz. Das Rheingold – hier ein großer Klumpen Gold – lässt er sowieso mitgehen.
Khanyiso Gwenxane (Froh),
Almuth Herbst (Fricka), Cornel Frey (Loge)
und Petra Schmidt (Freia)
Foto: Forster
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In der Verwandlungsmusik schleicht sich Wotan (mit dramatischer Stimme Basstiaan Everink) zurück in das eheliche Schlafabteil, kurz bevor der Zug an der Station „Walhall“ ankommt. Eine ganze Abteilflucht hat Bühnenbildnerin Heike Scheele für die Götter in diesem Zug vorgesehen. Der Tisch im mittleren Abteil lässt sich hochklappen und wird so zum Thronsessel, auf dem Wotan, von Froh (mit hellem Tenor Khanyiso Gwenxane) und Donner (Zhive Kremshovski) flankiert, die mit schwarzen Handschuhen hinter seinem Rücken Raben andeuten, die Riesen empfängt. Die erscheinen bedrohlich groß als Filmprojektion (Video Bernhard Kleine-Frauns) über den Zug. Freia (leider leicht schrill Petra Schmidt) verkriecht sich unterdessen angstvoll unter dem Bett, wird dort aber doch vom Riesen Fasolt (schwärmerisch und romantisch Joachim G. Maaß) entdeckt. Dass vorher die Götter die von Freia verteilten Äpfel nicht beachteten und gar aus dem Fenster warfen, wird ihnen schon bald zum Verhängnis. Der Apfelkorb ist wieder so ein kluges Detail.
Mit einer Lore fahren Wotan und Loge in Alberichs Bergwerk ein – eine Reminiszenz an Gelsenkrichens Bergbauvergangenheit. Hier kann sich Cornel Frey als Loge entfalten. Überhaupt ist er als quirliger Tausendsassa die treibende Kraft des Abends und die beste Stimme. Mit schönem Tenor artikuliert Frey die mal flirrenden Töne, schleimt sich mit schmeichlerischem Klang ein oder fertigt distanziert die Rheintöchter ab. Variabel spielt er mit der Stimme und passt sie der jeweiligen Stimmungslage an.
Bastiaan Everink (Wotan), Cornel Frey (Loge), Urban Malmberg (Alberich), Tobias Glagau (Mime)
Foto: Forster
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Eigentlich schade, dass man nicht die Lokomotive des Zugs zum Schauplatz dieser Szene gewählt hat. Eine Perspektive mit einer unendlich öden und düsteren Welt tut sich hier auf. Alberich lümmelt sich als neureicher Kapitalist in grünem Anzug am Schreibtisch seines Imperiums. Der unterdrückte Mime schrubbt als Putzmann (mit passend jammernden Ton Tobias Glagau). Der Tarnhelm ist wie in letzter Zeit üblich ein goldenes Tüchlein. Als Riesenwurm winden sich die Schläuche von Alberichs Fabrik. In Nibelheim schuftet ein ganzes Statisten-Nibelungen-Heer. Die hier erbarmungslos geknechteten Nibelungen bringen später den Hort zu Wotan. Brutal wird dem entführten Alberich der Finger abgehackt, um an den Ring zu gelangen. Es ist ein ungewöhnlicher Hort, der hier sichtbar wird. Goldene Rucksäcke, goldene Gewehre, goldene Helme. Am Ende stehen Soldaten um Freia herum. Ein goldenes Heer hat sich also dieser Alberich geschaffen, um die Weltherrschaft zu erlangen. In dieser Inszenierung ist es nicht Erda, die Wotan warnt, Fricka verwandelt sich, den Pelzmantel von sich werfend, in die Seherin. Almuth Herbst meistert beide Partien gut. Gut herausgearbeitet ist die wachsende Gier der Riesen nach dem Gold, die natürlich darin kumuliert, dass Fafner (deftig rustikal Michael Heine) Fasolt umbringt.
Das Zug-Thema greift die Inszenierung nicht wieder auf. Die Rheintöchter tauchen zwischendurch noch als Demonstrantinnen auf. Ihr Spruchband „Gold Macht Lust“ bleibt so auf der Bühne liegen, dass man nur noch „Macht“ lesen kann. Die Götter schenken ihnen aber keine Beachtung. Ein Empfang mit Durchschneiden des Bandes und Statisten als Ehrengästen markiert die Eröffnung von Walhall. Am Ende ziehen die Götter in eine Art Cyberwelt ein. Wie es weitergehen soll, muss man nicht bedenken, denn es soll wohl keine Fortsetzung als „Ring“ geben.
Macht der Beginn auf der Bühne neugierig auf die Inszenierung, ist der musikalische Anfang leider nicht so überzeugend. Unscharf sind die Bläser im Vorspiel. So dauert es einige Minuten, bis sich das Orchester fängt. Insgesamt kann die Neue Philharmonie Westfalen unter Giuliano Betta aber schon überzeugen, wenn der Dirigent auch manchmal dazu neigt das Tempo zu verschleppen und so den Spannungsaufbau verschenkt.
Besuchte Vorstellung: 18. Mai 2019 (Premiere 11. Mai 2019)
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
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