Opernkritik: „Serse“ (Xerxes) – Badisches Staatstheater Karlsruhe – 2019

King of Bling – Popshow statt Schlachtengetümmel 

– Franco Fagioli und Max Emanuel Cencic als Stars von Händels kurzweilig inszenierter Oper „Serse“ (Xerxes) bei den 42. Händelfestspielen in Karlsruhe – 

von Klaus J. Loderer

Erobert werden sollen in dieser Inszenierung nicht fremde Länder sondern Fans. Und die jubeln fleißig, wenn der King of Bling auf die Bühne kommt. Liberace mit seinen fantasievollen Kostümierungen stand Pate für diesen Popstar, zu dem der antike persische Feldherr und König Xerxes bei den 42. Händelfestspielen in Karlsruhe wurde. Serse heißt er in Händels gleichnamiger Opernfassung, sicherlich eine der bekanntesten Opern des Barockkomponisten und in dieser Saison in einigen Theatern auf dem Spielplan. Da muss man schon mit einer spektakulären Produktion aufwarten. Die bietet Karlsruhe schon durch die Sänger, indem man zwei der besten Countertenöre verpflichtete: Franco Fagioli und Max Emanuel Cencic. Schon diese beiden sorgen für eine entsprechend gute musikalische Qualität. Max Emanuel Cencic führte auch Regie und kam, indem er sich auf die Liebeshändel konzentrierte, zu einer Inszenierung, in der nur noch die Schwulenbar „Tom of Persia“ an Persien erinnert. Ansonsten spielt die Produktion in Las Vegas, dem modernen Babel, und damit nach Cencic (Interview im Programmbuch) Auslebungsort der sieben Todsünden, für die die sieben Charaktere der Oper stehen. Mit diesem Konzept gelang es Cencic, die Barockoper in ein stimmiges modernes Ambiente zu übertragen. Der Lebensstil der Stars im Vegas der 1970er-Jahre ist mindestens so dekadent wie barocker Opernreigen und so tummeln wir uns in einer Satire auf das Showbiz.

Franco Fagioli (Serse)
Foto: Falk von Traubenberg
Gleich zu Beginn erleben wir die Show des gefeierten Pianisten Serse, der sich zur Einstimmung gerade in seiner Garderobe mit seiner Haushälterin vergnügt. Dazu ist die Prinzessin Amastre hier geworden. Auf der Bühne trippeln derweilen die Showgirls herum. Serses berühmte Liebeserklärung an einen Baum „Ombra mai fu“ hat ja durchaus die Voraussetzung zu einem schnulzigen Popsong. Fagioli begleitet sich bei dieser Arie auf dem Flügel gleich selbst (was neben einer späteren Gitarrenbegleitung der einzige Ausbruch aus der ansonsten von den Deutschen Händel-Solisten gepflegten historisch-informierten Musizierpraxis ist). Das Publikum hätte sich vermutlich auch ohne die Applausaufforderung zu stürmischem Beifall hinreißen lassen. Doch selbst der Applaus gehört in der ersten Szene zur Inszenierung. Serse-Liberace wurde von Sarah Rolke und Wicke Naujoks mit mehreren federbestückt-wallenden Show-Umhängen ausgestattet und darf sich dekorativ in Szene setzen.

Yang Xu (Elviro), Max Emanuel Cencic (Arsamene), Franco Fagioli (Serse)
Foto: Falk von Traubenberg

Franco Fagioli ist einfach ein Meister der barocken Bravour-Arie. Bei ihm machen noch so lange Kolloraturfolgen einfach Freude. Serses Stimmungsschwankungen brechen bei Fagioli mit größter und effektvoller Virtuosität heraus. Ihm steht Max Emanuel Cencic als Arsamene an Virtuosität nicht nach. Doch gestaltet er seine Rolle gefühlvoller, bringt Trauer und Schmerz über die Zurücksetzungen und vermeintliche Untreue seiner Romilda mit wunderbaren Arien zum Ausdruck. Die amerikanische Sopranistin Lauren Snouffer sorgt mit ihrer Romilda für Wohlklang, mal in koketten Höhenflügen, mal in sinnlicher Leidenschaft. Atalante ist eine undankbare Rolle: neidisch, hässlich und intrigant ist die Schwester Romiladas. Katherine Manley hat den Mut zur grauen Maus und erfreut gleichzeitig mit gutem Gesang. Amastre weiß, was sie will, zudem wenn sie mit der resoluten Ariana Lucas besetzt ist. Sie setzt ihre tiefe Stimme mit Nachdruck ein, um den untreuen Serse zurückzugewinnen. Der gut geerdete russische Bass Pavel Kudinov ist als Ariodate ein unterwürfiger Gefolgsmann Serses. Bassbariton Yang Xu hat seinen großen und sehr witzigen Auftritt als Elviro in Gestalt eines Transvestiten und bietet stimmlich eine gute Leistung.

Immer wieder überrascht die Produktion mit neuen Bühnenbildern. Eine Villa mit Swimming Pool, ein Sitzungssaal mit Blick über Las Vegas, eine Bar, eine Disco, eine Straße mit Café und Boutique hat Bühnenbildner Rifail Ajdarpasic realistisch und detailgetreu entworfen. Das wird alles für kleine Nebenhandlungen genutzt, die von Statisten gespielt werden und die ein stimmiges und unterhaltsames Sittenbild ergeben. Man benötigt diese oft witzigen Geschichten nicht für die Handlung aber sie bieten Sehfutter während der Arien. Die Protagonisten treiben sich darin auch immer wieder herum und spinnen Intrigen. Auch als Popstar ist Serse durch und durch ein Machtmensch, der keinen Widerspruch duldet, auch nicht von seinem Bruder, dem er die Verlobte ausspannt. Doch beim Versuch diese zu vernaschen, erlebt er dann doch sein blaues Wunder als er nach doppelter Koks-Line in deren Bett kollabiert. Da nützte auch die ausgestopfte Unterhose nichts. Eine der vielen stimmig und detailliert durchinszenierten Szenen dieser Produktion. Am Ende überschlagen sich dann die Ereignisse, es gibt es einen regelrechten Showdown mit mit Killern, die auf Arsamene abmurksen wollen, seiner Rettung, viel Geballere, einer verwechselten Hochzeit und damit einem Happy End für Arsamene und Romilda und für Serse statt Traumhochzeit die Verhaftung durch die Cops.

Kurz aber exakt sind die Auftritte des Händel-Festspielchors in der Oper (Chorleitung Marius Zachmann). Mir lebhafter Inbrunst leitete George Petrou temperamentvoll die Deutschen Händel-Solisten. Doch findet er immer die Balance zwischen den Stimmungskontrasten dieser Oper. So war die Publikumsreaktion nur logisch: Viel Applaus nach den Arien – großer und langer Jubel am Ende.

Besuchte Vorstellung: 17. Februar 2019
(Premiere am 15. Februar 2019)
Staatstheater Karlsruhe, großes Haus

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