Opernkritik: „Les contes d’Hoffmann“ (Hoffmanns Erzählungen) – Deutsche Oper Berlin – 2019
Düstere Traumwelten
– Laurant Pellys Produktion von „Les contes d’Hoffmann“ (Hoffmanns Erzählungen) an der Deutschen Oper Berlin –
von Klaus J. Loderer
Die Fassungsgeschichte von „Hoffmanns Erzählungen“ ist komplizierter denn je. Besonders am sog. Giulietta-Akt wurde in letzter Zeit intensiv nachkomponiert, verworfen und rekonstruiert. So ist dieser Akt inzwischen in fast jeder Aufführung der Oper mit einer Überraschung verbunden. Das ist auch in Berlin der Fall, wo man an der Deutschen Oper auf die 2003 in Lausanne erstmals aufgeführte Fassung von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck zurückgreift. Der Giulietta-Akt bietet eine ganz ungewohnte Musik. Er beginnt wie üblich mit der Barkarole. Aber die berühmte Diamantenarie hat eine abgewandelte Melodie. Das Aktfinale ist dann völlig anders als gewohnt.
„Les contes d’Hoffmann“
an der Deutschen Oper Berlin:
Alex Esposito (Lindorf)
Foto: Bettina Stöß
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Düstere Traumwelten lässt die Inszenierung von Laurent Pelly, die 2005 in Lyon Premiere hatte und Anfang Dezember 2018 von der Deutschen Oper in Berlin übernommen wurde, lebendig werden. Die Produktion ist zwar dreizehn Jahre alt aber immer noch bestechend. Chantal Thomas wechselt in ihrem Bühnenbild zwischen kaum wahrnehmbar stilisierten dunklen Räumen und real wirkenden Situationen. Doch bewirken plötzliche Veränderungen in der Struktur surreale Effekte. Das passt gut zu den fantastischen Geschichten des romantischen Schriftstellers E.T.A. Hoffmann, die Jules Barbier und Michel Carré für das der Oper zugrundeliegende Theaterstück zusammengebastelt haben. Es ist eine sich dauerhaft verwandelnde Welt. Immer wieder bewegen und verschieben sich die Bühnenelemente und verändern die Raumsituationen. Mal ist man auf der Straße, von der Hoffmann durch ein Fenster Olympia beobachtet, einen Moment später tut sich das riesige Laboratorium des Physikers Spalanzani auf, in dem der Chor zwischen Hochspannungsmasten sitzt. Zu schweben scheint Olympia im Metallkleid, die sich in erstaunlichen Bewegungen im Raum bewegt. Erst später bemerkt man den von mehreren Männern geschickt bewegten Hubkran (der dabei aufkommende Erkennungsbeifall stört leider die Arie).
Der Antonia-Akt entwickelt sicherlich die stärksten Bilder. Klein und intim ist das biedermeierliche Zimmer Antonias. Erschreckend riesig ist das Treppenhaus, in dem unendlich wirkende Treppen nach oben und unten führen. Genau in dem Moment, in dem Hoffmann und Antona sich treffen, fährt der Podest weg und schafft zwischen ihnen eine unüberwindliche Kluft. Gewissermaßen auf den Schwingen der Musik schwebt Antonia dann zu ihm hinüber. Überraschend und plötzlich und immer von einer unerwarteten Seite sind die Auftritte des Doktors Miracle. Plötzlich steht er auf dem oberen Treppenpodest. Dann schwebt er auf der Lampe durch das Treppenhaus. Hier herrscht Horrorfilm-Stimmung. Meisterhaft ist das Spiel mit seinem Schatten. Der Schatten seiner Hand drückt die Klinke der Tür zu Antonias Zimmer. Der Schatten wirft Crespel mit Macht zur Seite. Das sind spannende Theatereffekte. Für die gespenstische Ausleuchtung sorg Charles Carcopino.
„Les contes d’Hoffmann“ an der Deutschen Oper Berlin (Premierenbesetzung): Cristina Pasaroiu (Olympia)
Foto: Bettina Stöß
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Die Bösewichte dieser Oper sind noch teuflischer als sonst. Perfide gestaltet Alex Esposito die vier Hoffmann-Gegenspieler Lindorf, Coppélius, Miracle und Dapertuto. Böse charaktervoll und voller Schwärze klingt sein Bass-Bariton.
Heather Engebretson legt einen vorzüglichen Auftritt mit der Koloraturarie der Olympia hin und gewinnt damit gleich das Publikum. Diese Partie liegt ihr. Sie singt auch noch die drei anderen Frauenrollen Antonia, Giulietta und Stelle. Das wird manchmal gemacht und ist nicht so glücklich. Auch hier merkt man, dass die für Olympia angebrachte harte Strahlkraft für die Rolle der Antonia nicht passt. Da würde man sich einen weicheren Klang wünschen. Als Olympia hat Heather Engebretson den Vorteil, dass sie allein singt. Schon im Antonia-Akt geht sie bei tieferen Stellen in den Ensembles etwas unter. Das ist im Giulietta-Akt noch mehr der Fall. In der Barcarole kann sie neben Jana Kurucová nicht bestehen und wird völlig übertönt.
Robert Watson beginnt als Hoffmann verhalten, singt dann schöne die Ballade von Klein-Zack. Er ist aber etwas heterogen. Immer wieder klingen manche hohen Töne gepresst. Aber dann die Überraschung nach der zweiten Pause: nun hat er sie gefunden, die freie Höhe. Und so gestaltet er stimmlich hervorragend den Giulietta-Akt.
Jana Kurucová gefällt mir zu Beginn der Oper gar nicht. Als Muse ist sie mir anfänglich zu laut und fast schrill. Sie nimmt sich glücklicherweise etwas zurück und überzeugt dann. Man hat aber nie Sorge, dass ihre Stimme untergeht. Mit Witz nimmt sie als Nicklausse Hoffmann auf den Arm. Da meistert sie gut die kleinen Kabinettstückchen. Mit warmen Tönen wiegt sie sich in der Barkarole. Und sehr eindrucksvoll ist ihre Apotheose der Dichtkunst im Finale. Als skurilen Physiker legt Jörg Schömer den Spalanzani an. Andrew Dickinson singt die verschiedenen Dienerfiguren. Als Franz sorgt er mit seinem witzig angelegten Couplet als scheiternder Sänger und Tänzer für Gelächter. James Platt bringt gut die väterliche Verzweiflung als Crespel zur Geltung. Byung Gil Kim, Stipendiat des Förderkreises der Deutschen Oper, gelingt ein guter Schlemihl.
Der Chor der Deutschen Oper Berlin hat seine großen Momente. Enrique Mazzola trumpft mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin auf, lässt die Chorszenen besonders festlich klingen, findet aber auch zu lyrischer Feinheit.
Besuchte Vorstellung: 5. Januar 2019
(5. Vorstellung seit der Premiere am 1. Dezember 2018,
Koproduktion mit der Opéra de Lyon, dem Gran Teatre del Liceu in Barcelona und der San Francisco Opera, Premiere in Lyon am 19. November 2005)
Deutsche Oper Berlin
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