Opernkritik: „Die Sache Makropulos“ (Věc Makropulos) von Leoš Janáček – Deutsche Oper Berlin – 2018
In zwei Welten
– „Die Sache Makropulos“ (Věc Makropulos) von Leoš Janáček an der Deutschen Oper Berlin –
von Klaus J. Loderer
In zwei Welten bewegt sich Emilia Marty in der kurzweiligen und packenden Inszenierung von David Hermann an der Deutschen Oper in Berlin, die man zu einer letzten Vorstellungsfolge noch einmal aufgenommen hat. Die geheimnisvolle Operndiva, die eigentlich Elina Makropulos heißt und immer mal wieder den Namen wechselt, schleppt hier ihre ganzen früheren Daseinsformen mit sich. Sechs Statistinnen in historisch wirkenden Gewändern verdeutlichen das 300jährige Leben von E. M. (wir erkennen die markanten roten Haare) und heben das Stück auf eine surreale Ebene. Da die Sängerin Ellian MacGrecor in der Geschichte eine wichtige Rolle spielt, sehen wir sie gleich in der ersten Szene als historisches Alter Ego von Emilia Marty.
Evelyn Herlitzius als Emilia Marty in „Die Sache Makropulos“ an der Deutschen Oper Berlin
Foto: Bernd Uhlig
|
Christoph Hetzer (von dem auch die Kostüme sind) zeigt uns in seinem Bühnenbild gleichsam zwei Zeitstufen. Mit Bauhausmöbeln und kühl modern weiß die rechte Seite als Jetztzeit, in der wir vom hundertjährigen Prozess und Streit um das Erbe des Barons Ferdinand Prus hören. Auf der linken Seite sind wie beim Umbau eines alten Hauses die Wandverkleidungen entfernt und wir schauen auf die angekohlte Wand. Als hätte es in diesem Haus einmal gebrannt. Die Personen auf dieser Seite sind wie im frühen 19. Jahrhundert gekleidet und zeigen uns Josef Ferdinand Prus, Ellian und den gemeinsamen Sohn. Diese Geister der Vergangenheit bleiben für die Personen der Jetztzeit unsichtbar. Nur uns verdeutlichen sie die detaillierten Kenntnisse, die Emilia Marty dem Rechtsanwalt Dr. Kolenaty geben kann. Und doch scheinen sich manchmal auch für die Personen der Jetztzeit ahnende Fenster in die Vergangenheit aufzutun. Wenn Albert Gregor erfährt, dass der Prozess verloren ist, sehen wir links wie sich sein Ahne erschießt. Albert und der Rechtsanwalt scheinen den Pistolenschuss zu ahnen. Das ist berührend.
Wir erfahren aus dem Dialog schon bald, dass es ihr in Wirklichkeit nicht darum geht, Albert Gregor, einen ihrer Nachfahren, zu helfen, sondern an einen Umschlag im Hause Prus zu gelangen, in dem das Geheimnis ihres langen Lebens niedergeschrieben ist.
Im zweiten Akt konzentriert sich Regisseur David Hermann auf die erotische Ausstrahlung Emilia Martys. Sessel sind im Kreis gestellt. Zwei Diener im weißen Frack geleiten die Verehrer herein. Auch die junge Sängerin Krista und ihr Liebhaber Janek Prus schleichen sich herein. Emilia Marty entkleidet sich vor ihnen, wird aber unterbrochen von ihrem früheren Verehrer Hauk-Sendorf, der im Clownskostüm hereinschneit. Wie bei anderen Szenen, wenn die Vergangenheit Emilia Marty einholt, schwirrt plötzlich die Wandvertäfelung. Der Raum scheint sich in den früheren Raum zu verwandeln.
Man rätstelt über ihr Alter, als Hauk-Sendorf von einer weit zurückliegenden Liäson erzählt. Es wird deutlich, mit diesen Herren kann Emilia Marty nichts anfangen. Ihre einzige Liebe war Josef Ferdinand Prus. Das innige Verhältnis zu ihm konnten wir im ersten Akt sehen. Alle weiteren Beziehungen zu Männern laufen auf einer unterkühlten Ebene ab.
Für den dritten Akt wurde die Bühne umgebaut. Der breite weiße Vorhang könnte eine Theaterbühne verbergen. Liegen stehen im Vordergrund. Da alle im Stück vorkommenden Herren scharf sind auf Emilia Marty verführt sie sie gewissermaßen gemeinsam mit ihren früheren Daseinsformen. Sie hat von Baron Prus den Umschlag mit dem Rezept für das Elexir erhalten und schwankt doch zwischen Selbstmord und Verlängerung ihres Lebens um 300 weitere Jahre. Wir sehen wie die E.-M.-Statistinnen schwach werden. Dieses Schwanken in ihrem Bewusstsein vermittelt die Inszenierung durch die Öffnung eines weiteren Raumes. Mit dem Öffnen des Vorhangs wird über den Stufen der Anfangsraum sichtbar. Sie lässt die anderen Darsteller im vorderen Raum und wechselt über in den hinteren Raum. Feiert sie neue Erfolge als Opernsängerin, nutzt sie die „Sache Makropulos“ noch einmal. Die Inszenierung lässt das offen und verklärt sie in einer Art Schlussapotheose. Das passt auch zur apotheotischen Schlussmusik. Auch wenn in der eigentlichen Opernhandlung, Emilia Marty das Rezept, das ihr Vater einstens für Kaiser Rudolf II. entwickelte, nicht nochmals anwendet.
Diese Oper lebt mit einer guten Darstellerin der Emilia Marty. Wieder ist in der Hauptrolle die Premierenbesetzung von 2016 zu sehen und zu hören. Evelyn Herlitzius singt diese Rolle immer noch betörend. Sie scheint getrieben, gibt sich kalt und abweisend. Mit warmem Bariton und doch der kühlen Hochnäsigkeit des Barons macht Philipp Jekal den Baron Jaroslav Prus. Mezzosopranistin Jana Kurucová singt Krista mit feiner Mädchenstimme. Tenor Aleš Briscein ist als Albert Gregor in der Höhe leider manchmal etwas schrill. Gefällig klingt Paul Kaufmann als Vitek. Grotesk überzeichnet Clemens Bieber den Hauk-Sendorf.
Marko Letonja dirigiert das Orchester der Deutschen Oper Berlin spannungsvoll und zügig. Er lässt sich auf den großen Janáček-Klang ein, dieses Schwirren und Rasen mit großen Kontrasten.
Besuchte Vorstellung: 16. November 2018
(7. Vorstellung seit der Premiere am 19. Februar 2016)
Deutsche Oper Berlin
Kommentare
Kommentar veröffentlichen