Opernkritik: „Die Meistersinger von Nürnberg“ bei den Bayreuther Festspielen

Kunst kommt von Können und Meisterhaftes von Meistern

 – Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ in einer wirklich unzureichenden, gar lächerlichen Inszenierung von Barrie Kosky – 

von Matthias Woehl 

Das Spiel beginnt, wir befinden uns im Wohnzimmer der Villa Wahnfried, in der Richard Wagner als Hans Sachs verkleidet, mit seiner Familie, Cosima Wagner als Eva, der Dirigent der Parsifal-Uraufführung Hermann Levi als Beckmesser, Franz Liszt als Veit Pogner, noch ein Richard Wagner als David und ein weiterer Richard Wagner als Stolzing die Meistersinger spielt. Das ist zwar ein hübscher Ansatz, geht aber, so man die Oper, die Protagonisten und deren Vorgänge kennt, einfach nicht auf. Regisseur Barrie Kosky beginnt mit seinem üblichen Tohuwabohu. Die auftretenden Meister sind gar head-bangende, tuntige Sänger (vielleicht zum Vorsingen bei Wagner?) der Chor ist in wunderschöne Renaissance-Kostüme gesteckt, tritt immer mal hinzu, und aus Platzgründen auch gleich wieder ab, aber welche Deutungsversuche auch immer man anstellen möchte, die Geschichte kann man in der Konstellation einfach nicht erzählen. Das schien auch dem Regisseur selbst aufgefallen zu sein, und so lässt er von dem ganzen Zauber zum Ende des Aktes auch wieder ab.

Tumult im Gerichtssaal: Sängerwiese goes NS-Kriegsverbrecherprozess – „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Bayreuth
Foto: Enrico Nawrath / Bayreuther Festspiele (2017)

Bedeutungsschwere muss her und so verwandelt sich die Bühne in den Gerichtssaal, in dem 1945 die Nürnberger Prozesse abgehalten wurden. Der Hausratplunder aus der Villa Wahnfried liegt darin auf einem Haufen und szenisch sehen wir: Schuster Hans Sachs (jetzt als Hans Sachs) klopft mal mit dem Hämmerchen auf einen Schuh, die Protagonisten kommen, wie sie in der Oper auftreten, herein, gehen ab, Eva, die Arme, muss immer herein- und hinausrennen, das wiederholt sich ein paar mal. Langweiliger könnte eine Inszenierung nicht sein, bedeutungsloser, gar uninspirierter, habe ich Theater lange nicht gesehen. Doch man entlässt uns in die zweite Pause nicht ohne einen wirklichen Klopper, man bläst jetzt die Karikatur eines „ewigen Juden“ auf, wie man sie aus dem Nazihetzblatz „Stürmer“ kennt, und setzt Beckmesser eine entsprechende Maske auf.

Zu Beginn des dritten Aktes sind, wie schon zuvor immer, irgendwelche Texte auf den Vorhang eingeblendet (schließlich möchte man sich nicht nachsagen lassen, man habe nicht ein paar Bücher gelesen) und Kosky enttäuscht mit nicht vorhandener Regie. Sachs sitzt immer noch im Gerichtssaal, an einem Tisch, die anderen treten hinzu, setzen sich hin, ach ich lüge, Stolzing steht immer wieder auf, geht singend in die Mitte der Bühne, geht zurück und setzt sich wieder hin (sicher eine Metapher, die zu erkennen ich einfach nicht gebildet genug bin), und so zieht sich die längste Oper Wagners wie ein Kaugummi in die Länge. Jetzt aber Festwiese. Der Chor kommt, verteilt sich über den Raum, das Bild Cosimas wird einmal in den Zeugenstuhl gestellt, Beckmesser von anderen Juden in die Tiefe gezogen, der Chor hüpft (endlich Bewegung!) zum Knallen eines Richterhammers auf dem Tisch, Fahnen werden geschwungen, Sachs singt seinen Monolog, und ein Sinfonieorchester kommt hereingefahren.

Ende, endlich. Jubelstürme brechen aus, das Festspielhaus tobt vor Begeisterung. Von was bitte war man so angetan? Ist es wirklich so leicht, das Publikum mit ein paar hübschen Kostümen (wirklich sehr ansehnlich von Klaus Bruns) und einem beeindruckenden Bühnenbild zu bezirzen? Eine Inszenierung, eine Idee, gar eine Deutung, war nicht auszumachen. Immerhin gab es genügend Stoff, die Feuilletons mit reichlich Geschwätz über Wagner und seinen Antisemitismus zu füllen. Wäre Kosky nicht selbst Jude, würde ich das gesehene als antisemitische Inszenierung bezeichnen. Seine Ideen zum Stück hat man ja leider im Programmheft abgedruckt, und diese zu lesen lassen einen nur mit dem Kopf schütteln.

Musikalisch war der Abend aber ebenfalls kein Vergnügen. Philippe Jordan beginnt schon die Overture mit ermüdendem Tempo und schafft es, jeden aktionsgeladenen Moment, jeden Forteaufschwung so zu zerfasern und zu versuppen, dass fast nichts Schönes von der Musik mehr übrig bleibt. Steckenweise fühlt man sich wie in einem Bühnenweihfestspiel, und nicht in einer eigentlich komischen Oper.

Michael Volle begeistert als gesanglich und szenisch hervorragender Hans Sachs. Eine großartige Leistung bietet auch Johannes Martin Kränzle als Beckmesser. Er gibt wirklich Alles, gestaltet mit der Stimme, und geht auch darstellerisch ans äußerste, was man auch von Günther Groisböck als Pogner behaupten kann. Klaus Florian Vogt spielt einen überzeugenden Solzing, hat an diesem Abend aber leider Probleme mit der Höhe. Allen aber muss man vorwerfen, das sie der deutschen Sprache wohl mächtig sein dürften, aber man versteht leider kein Wort. Das macht Daniel Behle als David deutlich, denn er ist der einzige, bei dem man einfach jedes Wort verstehen kann. Er singt mit wunderschönem, gut geführten Tenor, und verfügt über herrliche Spitzentöne. Schlimm ist es um die Frauen bestellt. Emily Magee darf man nicht kritisieren, denn sie wurde als indisponiert angekündigt, hat aber im Finale irgendwie noch einmal den Schalter umgelegt, und singt mit schöner, strömender Stimme. Wiebke Lehmkuhl hingegen wackelt sich durch ihre kleine Partie, und ist, wie viele Herren an ihrer Seite, mit keinem Wort zu verstehen. Aufhorchen lässt Daniel Schmutzhard als Fritz Kortner.

Was für eine Enttäuschung und was für ein szenischer Reinfall. Da muss ich an die letzte Meistersinger-Inszenierung von Katharina Wagner erinnern. Was für eine intelligente, durchdachte, witzige (es ist ja eine komische Oper) Inszenierung war das, man konnte kaum wegsehen, aus Angst, irgendetwas zu verpassen. Da wurden Figuren gezeichnet, ja Beckmesser und Stolzing machten sogar eine Wandlung durch, Beckmesser wurde zum Revoluzzer, Stolzing aber zum angepassten Spießer. Das alles konnte man nachvollziehen, ansehen, verstehen, das hat so viel Spaß gemacht, und wurde doch vom Publikum auf’s äußerste abgelehnt. Doch diese Kosky-nicht-Inszenierung wird von Publikum und Presse in den Himmel gejubelt. Aber: wenn Katharina Wagners Inszenierung zu Ende war (ich habe sie vier Mal gesehen), dann gingen die Leute aufgewühlt, schimpfend, begeistert und diskussionsfreudig den Hügel herunter, ja noch am nächsten Tag ging es beim Frühstück im Hotel sofort weiter, über Tische hinweg. Gestern schalteten um mich herum sitzende Herren noch im Schlussapplaus ihre Handys ein und tauschten beim Rausgehen Fußballergebnisse aus. Das zur Nachwirkung dieser Kosky-Inszenierung. Inszenieren will eben gelernt sein!

Besuchte Vorstellung: 27. August 2018
(Premiere 25. Juli 2017, Wiederaufnahme 28. Juli 2018)

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