Opernkritik: Barrie Koskys Inszenierung von „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Bayreuth enttäuscht
Alles Wagner in Wahnfried
– Leider ist Barrie Koskys Inszenierung von „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Bayreuth doch nur ein Kostümschinken –
von Klaus J. Loderer
Nimmt man die typischen Barrie-Kosky-Stilmittel weg, bleibt bei seiner Inszenierung von „Die Meistersinger von Nürnberg“ bei den Bayreuther Festspielen eigentlich nur ein belangloser Kostümschinken übrig – ein zumindest am Anfang schön anzusehender allerdings. Denn die handwerkliche Perfektion des Bühnenbilds von Rebecca Ringst und der Kostüme von Klaus Bruns ist schon beachtlich. Man hätte bei dem in Berlin so gefeierten Regisseur und Chef der Komischen Oper Berlin wenigstens noch eine lustige Show erwartet, doch letztlich dümpelt die Sache eher langweilig dahin. Dabei beginnt die Inszenierung vielversprechend.
Gleich drei Wagner – „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Bayreuth
Foto: Enrico Nawrath / Bayreuther Festspiele (2017)
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Ein Besuch Franz Liszts und Hermann Levis bei den Wagners in der neuen Villa Wahnfried dient als Inspiration der Produktion von „Die Meistersinger von Nürnberg“, die letztes Jahr bei den Bayreuther Festspielen Premiere hatte und nun überarbeitet wieder zu sehen war. Das wird überlagert mit dem Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse. Doch daraus entwickelt sich keine einleuchtende Geschichte.
Leider ist auch das Dirigat von Philippe Jordan eher geschleppt und dürfte schon etwas frischer sein. Immerhin spielt das Festspielorchester mit der gewohnten Qualität. Eine effektvolle Idee sind die gelegentlich eingefügten kleinen Generalpausen, etwa wenn Stolzing über sein Lied nachdenkt. Was die Produktion rettet, sind die schauspielerischen und gesanglichen Leistungen einiger Sänger, insgesondere des gegensätzlichen Paares Hans Sachs und Sixtus Beckmesser, hier vorzüglich dargestellt und gesungen von den Baritonen Michael Volle und Johannes Martin Kränzle. Michael Volle gibt eher den markigen Schuster. Johannes Martin Kränzle überzeugt mit seiner differenzierten Rollengestaltung. Aus den Meistern sticht der gut intonierende Daniel Schmutzhard als Fritz Kothner hervor. Herausragend Günther Groissböck als Veit Pogner. Und besonders ist Daniel Behle als David zu nennen. Akzentuiert gibt er im ersten Aufzug mit leichtem und sicherem Tenor eine Lehrstunde der Gesangskunst. Emily Magee ließ sich als indisponiert ankündigen, was ihre stimmlichen Unsicherheiten als Eva entschuldigt. Diese legt sie im dritten Akt ab und schafft es zu beachtlicher Leistung. Auch Klaus Floran Vogt scheint sich als Stolzing zwei Akte lang zu schonen und konzentriert sich auf den dritten Aufzug. Zwei Akte lang hört man immer wieder ungewohnte Rauheiten in seiner Stimme und einige Höhen verschleifen. Dann die Überraschung: eine fein gesungene Morgentraumdeutweise mit wunderbarer Höhe und ein ebenso brillant vorgetragenes Werbelied.
Im Salon von Wahnfried
Schon Stefan Herheim und seine Bühnenbildnerin Heike Scheele siedelten ihren Bayreuther „Parsifal“ vor ein paar Jahren in Wahnfried an. Die Villa verwandelte sich dann wundersam in den Gralstempel – eine Rekonstruktion des Uraufführungsgralstempels, die eindrucksvoll noch einmal den Raumeffekt vorführte. Nun also wieder die Villa Wahnfried. Wir schauen zum Vorspiel der „Meistersinger“ in den großen Salon mit seinen Bücherregalen. Mit den an den Wänden hängenden Gemälden ist man freier: Heroen der deutschen Kunst – das Dürer-Selbstbildnis liefert gleich den Nürnberg-Bezug. Richard Wagner kommt mit den Hunden vom Spaziergang zurück, Cosima hat Migräne, der Dirigent Hermann Levi und der Schwiegervater Franz Liszt treten ein. Wagner erfreut sich an schönen Dingen: das Lenbach-Porträt Cosimas trifft ein, neue Stiefel, ein seidiger Stoff, Parfüms. Ein Familienidyll des 19. Jahrhunderts. Franz Liszt setzt sich ans Klavier und klimpert aus den „Meistersingern“, Wagner zeigt ihm, wie er sich das vorstellt, dann spielen sie vierhändig. Ein schönes Bild. Das freut den Ästheten. Das ist eine schöne und kurweilige Illustration des Vorspiels, die Barrie Kosky dem Publikum bietet. Und man ist gespannt, was sich daraus entspinnt. Aus dem Flügel steigen zu Liszts Erstaunen viele Wagner heraus. Richard Wagner hat eine spontane Idee. Kerzenleuchter werden gebracht, die Stühle werden zusammengestellt. Man nimmt Platz. Der Kirchengesang des ersten Aufzugs setzt ein. Ah: man spielt in Wahnfried Meistersinger im Familienkreis. Hermann Levi fühlt sich sichtlich unwohl und will sich als Jude weder bekreuzigen noch will er knien. Wagner zwingt ihn dazu. Das ist plakativ gemacht und verdeutlicht Levis Sonderrolle in Wahnfried sicherlich ganz gut. Wagner soll ihn gedrängt haben, sich für den Parsifal taufen zu lassen. Die Szene auf der Bühne ist aber eben auch nur plakativ. Denn wenn es einen Punkt gegeben haben dürfte, in denen sich Wagner als Protestant und Levi als Jude einig gewesen sein dürften, dann ist das die Verweigerung des Kreuzschlagens. Denn das ist ein katholisches Verhalten und hätte nur zu Liszt gepasst. Da hätte man doch etwas genauer die religiösen Bekenntnisse der anwesenden Personen betrachen sollen, die ja immerhin eine reizvolle Vielfalt ergeben. Abgesehen davon, dass die Oper nach der Reformation spielt und Wagners Choral einem evangelischen Kirchenlied Luthers nachgebildet ist. Insofern sind Knien und Bekreuzigen sowieso völlig unangebracht. Kostümbildner Klaus Bruns ist da historisch viel exakter, denn er rekonstruiert die Kleidung Richard Wagners ebenso wie das weit gebauschte schwarze Kleid Cosimas nach dem berühmten Doppelfoto von 1872. Auch die Kleidung Liszts und Levis lehnt sich an Fotos an.
Weiter enstpinnt sich das Meistersingerspiel. Aus Cosima wird Eva, aus Franz Liszt Veit Pogner, aus Hermann Levi Sixtus Beckmesser, aus Richard Wagner Hans Sachs. Mit dem scheint sich Wagner ja tatsächlich identifiziert zu haben. Aus den weiteren Wagnerdoubles werden Walther von Stolzing und David und dann bleiben noch zwei kleine Wagner übrig, mit denen der große seine Oper leitet. Lehrbuben und Meister erscheinen in historischen Renaissancekostümen. So hält Alt-Nürnberg in Wahnfried Einzug. Aus herumstehenden Gemälden wird das „Gemerk“ zusammengestellt. Hier erhält das Leitrequisit der Aufführung seinen wichtigen Einsatz: das Hämmerchen. Damit merkt Beckmesser in Stolzings Liedvortrag die Fehler akustisch an – wie später Sachs beim nächtlichen Ständchen. Trotzdem ist dann irgendwie auf der Rückseite eines Gemäldes eine handgeschriebene Fehlerauflistung entstanden.
Ist sonst die Tänzertruppe ein typisches Motiv von Barrie Kosky, lässt er hier die Meister im Tackt wippen und zappeln und die Lockenperücken schleudern. Das wirkt beim Verlesen der Tabulatur ziemlich aufgesetzt. Das mit-dem-Löffelchen-gegen-die-Kaffeetasse-Schlagen bei der Abarbeitung der Anweisenheitsliste mag man noch als lustigen Einfall hinnehmen. Es geht immerhin im Finale des ersten Aufzugs recht quirlig zu bis das Bild erstarrt, der Salon nach hinten hinausfährt und ein größerer Raum sichtbar wird, in dem Wagner-Sachs wie ein Angeklagter ans Pult tritt. Man erkennt die Wandvertäfelung im Gerichtssaal des Nürnberger Justizpalasts – der Saal der Nürnberger Prozesse. Ein amerikanischer Militärpolizist verdeutlicht das.
Der Gerichtssaal bildet dann auch den Hintergrund des zweiten Aufzugs. Die Möbel des ersten Aufzugs sind zu einem Berg aufgehäuft. Wagner (oder ist er gerade Sachs?) schnuppert an einer Topfpalme und wähnt Fliedergeruch – den Witz hat im Publikum irgendwie niemand verstanden. Jedenfalls hämmert er eifrig auf Schuhen herum. Stolzing und Eva verstecken sich hinter dem Cosimaporträt. Beckmesser ist gerade Levi und Eva ist gerade Cosima. Und er soll wohl als Beckmesser in sie verliebt sein. Nur Stolzing und David sind gerade nicht Wagner sondern Stolzing und David. Und das Volk ist Renaissancevolk, wenn es gegen Ende des Aufzugs über die Bühne wuselt. Nach eher konventionellem Ablauf wird im Aktfinale über Beckmesser ein riesiger Ballon aufgeblasen, der sich zum Kopf einer bösartigen Judenkarikatur wie aus der Nazizeit aufbläht und unter der er verschwindet. Da grummelt es im Publikum.
Kostümball im Gerichtssaal
Im dritten Aufzug ist der Gerichtssaal nun auch bestuhlt – wie man es von Fotos der Nürnberger Prozesse kennt. Links die Bänke der Angeklagten. Davor sitzt Sachs äh Wagner und frühstückt bzw. er wirft unwirsch das Geschirr runter. Man könnte ihn für einen Verteidiger halten, der den Prozess vorbereitet, und erwartet einen Zeitsprung der Inszenierung, dass der Gerichtssaal nun auch einen Sinn ergibt. Allerdings tauchen David und Stolzing dann ebenso in Renaissanckostümen wie Eva, die also jetzt nicht Cosima ist. Zur Festwiesenszene bevölkert das Volk in üppiger Renaissancekostümierung den Gerichtssaal, ohne jeden Bezug zur von der Bühnenbildnerin mühsam rekonstruierten Gerichtssitzordnung. Nur der Miltitärpolizist steht ziemlich verloren da. Man zappelt herum und schwingt Wimpel. Nur mit dem Tanz der Wagnerchen mit dem Cosimaporträt ist man wieder in der Ursprungsgeschichte. Beckmesser wird vom Regisseur schon bei seinem Eintreffen aus Ausgestoßener markiert, erhält er doch als einziger der Meister keinen Applaus. Auch bei seiner Begutachtung der Standsicherheit des Pults lässt man ihn hilflos allein. Mit seinem Werbelied ersingt sich Wagner-Stolzing seine Cosima. Dann drängt sich dann alles Volk zur Mitte, damit die Bühnenarbeiter die Bestuhlung entfernen können und verschwindet dann komplett. „Verachtet mir die Meister nicht“ singt Wagner-Sachs im leeren Saal am Podium, bis von hinten die „deutsche“ Kunst hereinfährt: Sinfonieorchester und Chor. Schwelgend lagert Cosima auf den Stufen des Podiums, wenn ihr Richard dirigiert. Wie war das mit Wagners Gesamtkunstwerk?
Was sagt uns nun diese Inszenierung? Wo ist der Bezug zwischen Wahnfried und Gerichtssaal? Soll nun Wagner verantwortlich sein für die Kriegsverbrechen des Dritten Reichs? Herheim hat in seinem Parsifal den Bogen geschlagen von Wahnfried über das Dritte Reich, den Zweiten Weltkrieg bis zum Bundestag. Das hat sich vermittelt. Eine Nachstellung der Prozesse in den „Meistersingern“ fand man wohl eine zu starke Wiederholung. So bleibt der Gerichtssaal aber bloße Kulisse ohne Bedeutung. Und die Festwiesenszene ist ein konventioneller Kostümball in allerdings sehr detailreich genähten Kostümen. Fast wähnt man die Porträts auf den alten D-Mark-Scheinen der sog. Gemäldeserie wiederauferstanden. Gleich mehrfach meint man Elsbeth Tucher zu erkennen (das Dürer-Porträt auf dem Zwanziger). So konnte man die prachtvolle Renaissancekleidung unterbringen, ohne dass gleich gerufen wird: Kostümschinken. Doch das ist die Produktion letztlich. Denn neue Erkenntnisse bekommt man nicht. Dass Beckmesser als Jude gelesen werden könnte, ist ein alter Hut. Wie sich das Finale des zweiten Akts zum bedrohlichen Pogrom entwickelt, konnte man in den letzten Jahren in mehreren Inszenierungen sehen – hier allerdings gerade nicht. Eher ging es Kosky darum zu zeigen, wie der integrierte Jude Levi-Beckmesser erkennen muss, dass er doch nicht dazugehört, markant stülpt man ihm die Maske des „bösen Juden“ über und das Volk weicht entsetzt vor ihm zurück. Man macht ihn zum „Juden“. Riesenhaft bläht sich die Fratze dann im Bühnenbild auf. Immerhin hat er als schwuler Regisseur einen der Meister eine schwelgerische Hingabe für Stolzing zeigen lassen. Die „Meistersinger“ als Folie der deutschen Geschichte haben Hans Neuenfels und Peter Konwitschny in ihren „Meistersingern“ in Stuttgart und Hamburg zum Entsetzen des entrüsteten Publikums sehr eindrücklich und überzeugend dargestellt. Dass in Bayreuth Wolfgang Wagners letzte Meistersinger-Inszenierung eher gefällig war, sei einmal dahin gestellt, dafür hatte es Katharina Wagner mit ihren „Meistersingern“ geschafft, aus der deutschen „Falle“ herauszukommen. Barrie Kosky ist genau in diese Falle reingetreten, wie man dem verschwurbelten Text des Regisseurs entnehmen kann, der im Programmheft abgedruckt ist. Herausgekommen ist letztlich nur eine konventionelle Inszenierung, die mit ein paar Gags etwas aufgetakelt ist.
Besuchte Vorstellung: 27. August 2018
(Premiere 25. Juli 2017, Wiederaufnahme 28. Juli 2018)
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