Opernkritik: „Capriccio“ von Richard Strauss – Oper Frankfurt – 2018
Kunstdispute im Wintergarten
Johannes Leiacker baut kühn perspektivisches Bühnenbild für „Capriccio“ von Richard Strauss an der Oper Frankfurt
von Klaus J. Loderer
Mal wieder der gemalte Vorhang des Palais Garnier. Der ist toll. Der ist bombastisch. Der ist markant. Der zeigt eine geradezu aberwitzige Vorhangraffung. Und er ist der meistkopierte Vorhang der Welt. Und ich liebe ihn. Aber man sieht ihn inzwischen zu oft in Bühnenbildern. In der Oper Frankfurt am Main ist in prunkvollem Rot und Gold vor Beginn der Oper „Capriccio“ zu sehen und zeigt dem Publikum gleich, heute geht es nach Paris. Hinter dem Vorhang taucht dann allerdings nicht das Palais Garnier auf, sondern ein Wintergarten. „Capriccio“ spielt in der Regie von Brigitte Fassbaender nicht im 18. Jahrhundert sondern in den 1940er Jahren während der deutschen Besatzung von Paris – also in der Zeit der Uraufführung von „Capriccio“. An der Rückwand dieses von Bühnenbildner Johannes Leiacker stark perspektivisch gebauten Wintergartens oder Gewächshauses erkennen wir eine kleine Bühnenöffnung, ein privates Theater in einem Schloss bei Paris. Der Vorhang ist dann widerum eine Miniaturfassung des Vorhangs im Palais Garnier. Es soll Winter sein. Trotz der Heizkörper müssten die Leute eigentlich ziemlich frieren in diesem Wintergarten, wenn man so oft und lang die Außentüren sperrangelweit offen stehen lässt. Der Zweite Weltkrieg ist in diesen Wintergarten noch nicht vorgedrungen. Hier diskutiert man schönere Fragen als die Weltpolitik, nämlich die Kunst. Oder ist das nur Fassade? Der Vortrag La Roches zur Konzeption eines Stücks über Karthago ist als Diavortrag gestaltet und konstrastiert den Speer-Entwurf für das zu Germania umgestaltete Berlin mit kriegszerstörten Städten und deutet an, dass man sich mit dem Geschehen in Europa beschäftigt. Ein kleiner Junge spielt mit einem Panzer. Als er aber Adolf Hitlers Schnurrbart mit einer Geste persifliert, wird er vom Haushofmeister hinausgebracht. Man sorgt sich eben doch, dass die Gestapo ihre Augen überall haben könnte. Einige Zeit später schnüffelt der Souffleur Monsieur Taupe tatsächlich herum und steckt eines der Dias wie ein Beweismittel ein. Doch er hat nicht entdeckt, was der eigentliche Clou der Inszenierung ist. Es ist nicht, dass sich die Gräfin zu ihrer großen Arie in eine höfische Robe des 18. Jahrhunderts gekleidet hat und wir nun den Wintergarten unendlich in die Tiefe gestreckt sehen. Wir sehen nun, warum der Haushofmeister so ängstlich darauf bedacht ist, dass niemand den Instrumentenkoffern des Orchesters im Hintergrund zu nahe kommt, denn es sind keine Musikinstrumente darin, sondern Waffen. Waffen für den Widerstand. Noch einmal kleidet sich die Gräfin um, bevor sie sich mit Haushofmeister und Musikern als Résistance-Gruppe nach Paris aufmacht. Sie wählt am Ende weder Dichter noch Komponist aus – sondern den Haushofmeister.
Diese durchaus überzeugende Rahmenhandlung flocht das Regieteam um die eigentliche Geschichte der Gräfin Madeleine und ihrer beiden Verehrer. Ihr Bruder ist da praktischer und flirtet gleich direkt mit der Schauspielerin Clairon. Auch dem Theaterdirektor La Roche wird in Frankfurt eine Liaison beigegeben. Er bringt eine Tänzerin als Geliebte mit. Katharina Wiedenhofer darf dann auch etwas herumhüpfen. Arg überzeichnet ist das italienische Sängerpaar. Denn man müsste die italienische Arie nicht so herunterleiern, wie es Sydney Mancasola und Mario Chang tun.
Erfreulich ist Camilla Nylund als Gräfin, die ihre finale Arie souverän und schön gestaltet. Ebenso erfreulich der sichere Bass von Alfred Reiter als La Roche. Bassbariton Gordon Bintner ist als Graf befriedigend. AJ Glueckert singt den Flamand mit passablem Tenor. Bariton Daniel Schmutzhard ist ein solider Olivier. Weniger befriedigend Tanja Ariane Baumgartner als Clairon. Etwas unbestimmt ist das Dirigat von Sebastian Weigle, der das Frankfurter Opern- und Museumsorchester leitet.
Besuchte Vorstellung: 28. Januar 2018
(Premiere 14. Januar 2018)
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