Deutsche Erstaufführung: „Prima Donna“ von Rufus Wainwright – Theater Augsburg – 2018
Die Angst der Sängerin vor der Tonlosigkeit – ein Künstlerdrama
– Deutsche Erstaufführung der Oper „Prima Donna“ von Rufus Wainwright am Theater Augsburg –
von Klaus J. Loderer
Da zeigt ein kanadischer Popsänger und Songschreiber den
Europäern, wie Oper klingen kann. In Europa klammert man sich verzweifelt an
die Atonalität als vermeintlich modern und ist in Panik vor Tonalität oder gar
Melodie. Und nun kommt Rufus Wainwright daher und schreibt mit seinem
Erstlingswerk eine Oper mit üppig angelegter sinfonischer Orchesterpartitur in
der Tradition großer dramatischer Filmmusiken. Wainwright knüpft mit seiner
melodischen Kompositionsweise an die Opernkomonisten des 20. Jahrhunderts wie
Puccini, Strauss, Britten, Menotti und Poulenc an. Man muss „Prima Donna“
deshalb nicht gleich als Pasticcio verunglimpfen, wie es einige Kritiker taten
– soll er doch erst einmal mit der Kompositionsweise seiner Vorbilder
herumprobieren und seinen Stil finden. Wir verunglimpfen doch Richard Wagners
„Liebesverbot“ auch nicht als schlechten Donizetti.
Wainwright schuf ein spannendes Musikdrama, ein
Künstlerdrama, mit ergreifenden Stellen. Das Orchester spielt dabei eine
maßgebliche Rolle: insofern darf man Lancelot Fuhry und den Augsburger
Philharmonikern zu ihrer Leistung gratulieren.
Das Libretto des Komponisten und Bernadette Colomine war ursprünglich französisch geplant, wurde dann aber ins Englische übertragen.
2009 wurde die Oper in Manchester uraufgeführt. Die Produktion in Augsburg ist
die deutsche Erstaufführung. Für das bessere Verständnis ließ man die Oper von
Lothar R. Nickel ins Deutsche übersetzen.
In der Oper geht es um eine Opernsängerin, Régine Saint
Laurent, die seit sechs Jahren nicht mehr gesungen hat und nun wieder auf einen
Auftritt hofft. Sechs Jahre zuvor hatte sie als glanzvollen Höhepunkt ihrer
Karriere die Uraufführung der für sie geschriebenen Oper „Aliénor“ gesungen.
Bei der zweiten Vorstellung versagte ihr die Stimme. Die Schallplattenaufnahme
der Premiere hat sie nie angehört. Wir sind nun am 14. Juli in Paris. Draußen sind
die Vorbereitungen für den Nationalfeiertag. Eine einstmals prachtvolle Wohnung
– der Opernfan stellt sich natürlich sofort Maria Callas‘ Wohnung vor, was eine
von Wainwright durchaus gewollte Assoziation ist – wird für den Besuch eines
Journalisten herausgeputzt. Das hat Butler Philippe eingefädelt, um die
Rückkehr Régines auf die Bühne zu unterstützen. Man erkennt schon bald, dass
die Rückkehr auf die Bühne vor allem von Philippe betrieben wird, durchaus auch
mit drastischen Mitteln. Der Journalist André stellt sich als Fan Régines und
Tenor heraus und kennt auch noch die Partitur von „Aliénor“. Sie singen
zusammen. Doch wieder versagt Régine die Stimme. Endlich hört sie sich die
Schallplattenaufnahme an und träumt sich in die Rolle hinein. Aber sie beschließt,
das Comeback abzusagen. Philippe kündigt deshalb. André kehrt zurück, aber nur,
um sie um ein Autogramm zu bitten. Alleine betrachtet Régine das Feuerwerk,
eine Szene, die musikalisch mit einem Zitat aus der Marseillaise eingeleitet
wird.
Sally du Randt als Régine Saint Laurent in „Prima Donna“ Foto: Jan Pieter Fuhr |
Es ist vor allem die großartige Sally du Randt als Régine
Saint Laurent, die der Augsburger Aufführung von Wainwrights Erstlingsoper das
Wechselspiel der Stimmungen einhaucht. Sie beherrscht den großen Bühnenauftritt
als Primadonna überzeugend und lässt uns andererseits als erbarmungslose
Voyeure ihre Angst vor dem Versagen und die in Cocktails ertränkte Frustration
spüren. Regisseur und Bühnenbildner Hans Peter Cloos setzt deshalb den Blick zu
Beginn auf einen beengten Raum mit wenig Tiefe, spärlich möbliert mit Sessel
und Fernsehgerät. Seine Régine bekämpft ihre Ängste mit Alkohol. Nimmt sie ihre
Umgebung richtig wahr? Sie erkennt nicht einmal ihr Dienstmädchen Marie.
Jeannette Wernecke ist in dieser Rolle als Sängerin wie als Schauspielerin ein
Glücksfall. Marie Pawlotskys Kostüm lässt sie zwar erscheinen wie eine Zofe
Genets, doch scheint sie ihrer Madame sehr zugeneigt zu sein, während Butler
Philippe vom alten Glanz, von Empfängen und Wohlstand träumt und deshalb seine
Herrin durchaus geradezu terrorisiert. Wiard Witholt gibt diesen
erbarmungslosen Haustyrannen mit aberwitzig assymetrischer Frisur.
Der Hausdiener François ist verdoppelt und dient mit Sofie
als dekoratives Beiwerk. Jan Plausteiner, Mario Passow und Kinga Klepaczewski, schaffen
Blumen herein- und wieder hinaus, tagen eine Kamera herum und deuten zu Beginn
des zweiten Akts eine in der Wohnung stattgefundene Party an. Dazu sind sie in
witzige 60er-Jahre-Kostüme gekleidet.
Zur Ankunft des Journalisten – Roman Poboinyi meistert diese
anspruchsvolle Tenorpartie gut – wandelt sich die Szene. Die Wände weiten sich
und bilden nun einen großen Salon mit einem Flügel im Hintergrund. Auftritt
Diva: im eleganten Kleid doch distanziert mit Sonnenbrille. Später blicken wir
ins Abendrot und auf eine geschwungene Treppe, über die Régine noch einen
großen Auftritt in Robe hat.
Dass die Handlung um eine vergessene Diva und einen
Journalisten natürlich an den Film „Boulevard der Dämmerung“ (Sunset Boulevard)
erinnert, hat auch der Regisseur bemerkt, der ein paar markante Szenen des
berühmten Billy-Wilder-Films auf seitliche Leinwände projezieren lässt. Durch
die Vielfachwiederholungen immer gleicher Filmsequenzen lenkt das leider etwas
von der zentralen Handlung ab, ganz im Gegensatz zu den im Bühnenbild selbst aufscheinenden
Filmmotiven mit Bette Davis, die effektvoll eingesetzt sind.
Am Ende verengt sich das Bühnenbild wieder zum anfänglichen
Raum. Einsam sitzt Régine da und signiert Fotos von sich, die niemand mehr
haben will. Mit diesem traurigen Bild schließt die Oper.
Falls jemand über die Oper „Aliénor“ rätseln sollte, aus der
ein paar Auszüge zu hören sind: die sind natürlich auch von Rufus Wainwright.
Die Oper soll von Eleonore von Aquitanien handeln, hintereinander Ehefrau eines
französischen und eines englischen Königs. Aber es gibt den großartigen Film
„Der Löwe im Winter“ mit Katherine Hepburn als Eleonore. Übrigens gibt es tatsächlich eine Oper „Aliénor, un opéra exposé“, nämlich von der Sängerin, Schriftstellerin
und Komponistin Murielle Lucie Clément.
Besuchte Vorstellung: 9. Februar 2018
(Premiere 3. Februar 2018)
Theater Augsburg im Martini-Park
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