Alban Bergs Oper „Lulu“ und das Violinkonzert – Staatsoper Hamburg – 2018
Alle ziemlich neurotisch
– Christoph Marthalers Inszenierung von Alban Bergs Oper „Lulu“ an der Staatsoper Hamburg –
von Klaus J. Loderer
Großer Beifall am Ende: Alban Bergs „Lulu“ in einer
vielgelobten Inszenierung von Cristoph Marthaler an der Staatsoper Hamburg mit
Kent Nagano am Pult. In Ganzkörpertrikotunterwäsche werden die Protagonisten am
Anfang aufgereiht und vorgeführt wie die Tiere im Zirkus. Der Regisseur
akzentuiert die Epilogszene im Zirkus. Bühnenbildnerin Anna Viebrock hat dazu
Elemente aus dem Zirkus auf der freien Bühne aufgestellt, im Hintergrund eine
Art stilisierte Theaterbühne aus Vorhängen, die manchmal mit einer Goldbordüre
verhüllt wird. Erst für den zweiten Akt entwickelt Viebrock eine ihrer
typischen Räumlichkeiten, einen hohen holzvertäfelten Raum mit einer zeitweilig
ins Nichts führenden kurzen Treppe auf der rechten Seite. Durch eine Öffnung
sieht man eine weitere Treppe, bei der sich nicht erschließt, von wo nach wo
sie eigentlich hinführt. Das ist ein surreales Motiv, das Marthaler in seiner
Inszenierung aufgreift, indem er in mehreren Wiederholungen immer die gleichen
Leute die Treppe hinabgehen lässt, ohne dass sie irgendwo ankommen. Mit dann
doch wechselnden Personen – wer verfolgt eigentlich wen? – entsteht sogar eine
gewisse Komik. Das Stilmittel unvermittelter Wiederholungen ungewöhnlicher
Handlungen nutzt Marthaler immer wieder. Nach dem Tod des Malers macht Lulu
mehrmals einen Purzelbaum rückwärts in den kurzen Gesangspausen. Dieses Kunstmittel kann durchaus auch auf die Nerven gehen. Dass Barbara
Hannigan überhaupt noch den Atem hat zu singen, ist erstaunlich genug. Ihr werden akrobatisch so einige Dinge abverlangt als Lulu.
Es geht vom zweiten ohne Pause weiter zum dritten Akt. Diese erfolgt dann zwischen den beiden Szenen des dritten Akts. In Hamburg spielt
man nicht die rekonstruierte und ergänzte Fassung von Friedrich Cerha, sondern
eine eigene, die das Fragmentarische der Oper betont. Die Fassung Cerhas war
dem Hamburger Team zu spekulativ. Sie wollten zum Ursprung der Komposition
zurück. So erarbeiteten Regisseur Christoph Marthaler, Generalmusikdirektor
Kent Nagano, der Komponist Johannes Harneit und Dramaturg Malte Ubenauf eine
Fassung, die auf dem von Alban Berg notierten Particell, einer noch nicht
instrumentierten Vorstufe der Partitur, basiert. Die Lösung ist durchaus
interessant, denn mit dem Abbrechen des üppigen Orchesterklangs nach dem Ende
des zweiten Akts, macht die karge Instrumentierung des dritten Akts dem
Publikum den Unterschied deutlich. Dominantes Instrument bleibt so in Hamburg
das Klavier, genauer gesagt, ein Klavier im Orchestergraben und eines auf der
Bühne. Dazu kommen vereinzelt weitere Instrumente, besonders die im Particell
Bergs hervorgehobene Solovioline.
„Lulu“ an der Staatsoper Hamburg. Im Vordergrund: Matthias Klink als Alwa, Jochen Schmeckenbecher als Dr. Schön und Barbara Hannigan als Lulu
Foto: Monika Rittershaus
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Für den Schluss hat man sich in Hamburg einen besonderen
Clou ausgedacht. Nach der Ermordung Lulus und der Gräfin Geschwitz, was
eigentlich das Ende der Oper bildet, kommt die Soloviolinistin wieder auf die
Bühne. Auch das Orchester setzt wieder ein. Und es erklingt das wunderbare
Violinkonzert Bergs, das hier als Epilog der Oper nachgeschoben wird –
eigentlich die schönste Musik des Abends. Veronika Eberle spielt ihre
umfangreiche Violinsolopartie mit viel Feingefühl. Es ist schon gewagt, eine
fast vierstündige Oper noch weiter zu verlängern. Aber das Publikum genießt
dieses Konzertnachspiel offensichtlich: die Violinistin wird beim
Schlussapplaus stürmisch gefeiert. Durch die Widmung „Dem Andenken eines
Engels“ passt das Konzert sogar irgendwie zur Oper. Da ein Violinkonzert aber
keine Handlung hat, muss auf der Bühne noch etwas stattfinden. Regisseur
Marthaler fiel aber nichts Besseres ein, als Lulu auf der Bühne in einer Reihe
mit vier Frauen aufzustellen, die durch die Inszenierung geistern, sie ein bissel herumzappeln zu lassen und
pantomimisch so eine Art Geschwätzigkeit anzudeuten. Das Herumzappeln ist auch so ein Stilmittel, das sich durch die Inszenierung zieht: im dritten Akt soll Lulus Zappeln wohl den Geschlechtsakt mit ihren Freiern stilisieren.
Beim Philharmonischen Staatsorchester unter Kent Nagano hätte
die Akzentuierung der Orchesterpartie feiner und differenzierter sein können.
Barbara Hannigan meistert die Partie der Lulu mit kräftiger Stimme. Eigentlich
singt sie alle Kollegen auf der Bühne an die Wand. Nur Angela Denoke behauptet
sich als Gräfin Geschwitz – eine Rolle, die ihr übrigens gut liegt. Dagegen
bleibt Matthias Klink als ein recht neurotisch gezeichneter Alwa recht blass. Gesanglich solide singt Jochen
Schmeckenbauer die Rollen von Dr. Schön und Jack.
Besuchte Vorstellung: 3. Februar 2018
(8. Vorstellung seit der Premiere am 12. Februar 2017)
Staatsoper Hamburg
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